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Kolumne MachtManipulieren für Anfänger

Bettina Gaus
Kolumne
von Bettina Gaus

Der Streit um den Armutsbericht der Bundesregierung zeigt: Fakten, die alle kennen, kann man kaum fälschen. Vor allem nicht in Zeiten des Internets

D ie Frage ist doch gar nicht, ob es unmoralisch, dreist, verlogen oder alles zugleich ist, aus politischem Kalkül heraus einen Bericht zu manipulieren. Die Frage ist, wie man so unbeschreiblich dumm sein kann, das vor aller Augen zu tun.

Ein Teil der Empörung über Änderungen im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ist albern. Es ist kein Skandal, sondern Alltag, wenn ein Papier, an dessen Abfassung verschiedene Ministerien mitarbeiten, mehrfach redigiert wird und nicht gleich der erste Entwurf unter stehendem Applaus aller Beteiligten durchgeht.

Dass ein Minister versucht, in einem Bericht seine Weltsicht unterzubringen, ist ebenfalls kein Skandal. Das gehört zu seinen Aufgaben. Es wäre ja eigenartig, wenn er im Amt die Überzeugungen nicht länger verträte, die ihn überhaupt erst auf seinen Posten gebracht haben.

Aber eine politische Haltung hat nichts damit zu tun, missliebige Tatsachen zu unterdrücken. Und wenn sie damit gelegentlich doch etwas zu tun hat, dann sollte es wenigstens niemand merken.

Die Glaubwürdigkeit ist dahin - so oder so

Es gibt eine herzerwärmende Erkenntnis im Zusammenhang mit dem endlich veröffentlichten Armutsbericht der Bundesregierung: Auch Wirtschaftsminister Philipp Rösler hat offenbar gute Freunde – oder zumindest loyale Mitarbeiter, die sich nicht davor fürchten, ihm unangenehme Wahrheiten zu sagen.

Bild: Katharina Behling
Bettina Gaus

Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz. Ihre Kolumne „Macht“ erscheint alle 14 Tage in der sonntaz. Das Wochenendmagazin ist am Kiosk, e-Kiosk und im Wochenendabo erhältlich.

Zum Beispiel die, dass es nichts mehr nützt, Informationen aus einem Papier herauszustreichen, die inzwischen sowieso alle kennen.

So finden sich nun in der endgültigen Fassung des Berichts wenigstens einige der Fakten wieder, die zwischendurch im zweiten Entwurf plötzlich fehlten. Sie sind zwar ein bisschen umständlicher formuliert als in der Ursprungsversion und auch besser versteckt, aber immerhin. Sie stehen drin. Anderes fehlt nach wie vor, aber darauf kommt es gar nicht mehr an.

Die Glaubwürdigkeit ist dahin – so oder so. Und das wird im Hinblick auf die wachsende Politikerverdrossenheit sehr viel weiter reichende Folgen haben, als wenn diese Bundesregierung noch mehr unerfreuliche Wahrheiten eingestanden hätte.

Es gibt andere Quellen als die Bundesregierung

Zum Beispiel, dass es eine wachsende Einkommensspreizung gibt, die das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung verletzt. Eine solche Aussage ist zwar für jede Regierung peinlich, aber leider für die sie tragenden Parteien derzeit nicht bedrohlich.

Da die Zahl der Nichtwähler ausgerechnet in den Teilen der Bevölkerung wächst, die in der Armutsfalle sitzen, muss die Koalition auf diese Leute immer weniger Rücksicht nehmen – und handelt entsprechend. Stimmen, die man ohnehin nicht bekommt, kann man nicht verlieren.

Aber auch Wählerinnen und Wähler, denen es materiell gut oder gar besser geht als früher, regieren empfindlich, wenn sie für dumm verkauft werden sollen. Oder Anlass haben, an der Intelligenz derjenigen zu zweifeln, die sie regieren. Und wie klug sind Politiker, die glauben, frei zugängliche Tatsachen ließen sich im Zeitalter des Internets unterdrücken?

Es ist ja nicht so, dass es keine anderen Quellen für Informationen gäbe als die Bundesregierung. Das Einzige, was durch den Koalitionsstreit über den Armutsbericht erreicht wurde, ist, dass solche Publikationen nicht mehr als verlässlich gelten. Das ist selbst für Gegner der Regierung eine schlechte Nachricht.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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7 Kommentare

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  • T
    Timson

    Die Armut hat doch letztendlich mit der Agenda 2010 und der darin enthaltenen Arbeitsmarktreform zutun. Wer heute ohne Festanstellung und adäquate Bezahlung lebt, hat meist kaum Chancen Rücklagen zu bilden und sich weiter zu entwickeln. Das Karriereziel besteht dann nur noch darin überhaupt Arbeit zu haben.

     

    Auf dem derzeitigen Arbeitgebermarkt ist für Arbeitnehmer ohnehin immer weniger zu holen vorallem bei einfachen Tätigkeiten. Die Vision von der Dienstleistungsgesellschaft war vonAnfang an ein Witz und die Rationalisierung in der Industrie hat Ihren Teil dazu beigetragen. Aber es gibt ohnehin nicht genug bezahlte Arbeit für alle, deshalb kommt mir persönlich die Idee von einer Art Grundeinkommen oder Bürgergeld bei einer 30-Stundenwoche imer realistischer vor. Wenn ich bedenken, dass ich für ein Gehalt knapp 50 Stunden arbeite ist das sogar garnicht so weit hergeholt.

     

    Wichtig wäre es Das Sozialsystem über Steuern zu finanzieren und nicht über starr an die Löhne gekoppelte Abgaben. In Kombination mit einem Mindestlohn wäre das ein interessantes Gegenmodell zum jetzigen System. Der Mindestlohn wurde im übrigen in der Agenda 2010 bewusst vergessen und stattdessen das Aufstocken erfunden. Was daran verwundert ist, dass die neoliberale Politik das stützt, denn mehr Eigenverantwortung hieße auch Verzicht auf Subventionen und wer seine Angestellten nicht bezahlen kann, der soll bitteschön den Laden dicht machen und nicht auf Kosten der Allgemeinheit das 5. Friseurgeschäft in der Straße eröffnen! Wenn es dann nur noch ein Friseur gibt kann der wenigstens vernünftige Löhne zahlen. Der Markt regelt sich selbst! Darüber muss ich echt lachen

  • DL
    dem lentz

    die stimmen werden erst am wahlabend gezählt

    und ob sich bis dahin noch viele erinnern werden

    das netz wird es nicht tun

    da wird was vormonaten war längst mit irrelevanten blogs gegendarstellungen und bezahlter wie freiwilliger meinungsmache so zugemüllt sein das man, so man sich erinnert, schon auf suchergebnissseite 2030 um die vorgänge noch einmalpräsentiert zu kriegen, dargestellt durch die jeweiligemeinungsbrille

    informationen giebt es im netz schon lange nicht mehr, ausser "produktinformationen".

    da hier darob längst nach gutsherrenart regiert wird, kein verttrag mehr geachtet wird, keine wirtschaftliche planung für mehr als 2wochen vor der politik sicher ist, hatt der herr rössler, so traurig es ist, letztlich recht mit seinem vorgehen

    wenn jemand nachschlagen will wird er gezwungen sein sein machwerk zu nutzen, die aufregung darum wird längst vergessen sein

    wie in der masse der medien die energiewende mitlerweile merkels werk ist

    so in der masse der köpfe

    warum also nicht alles umschreiben

    weis doch eh bald keiner mehr

    liquidinformation sei dank

  • EB
    Eine Bitte

    Hallo Frau Gaus,

    könnten Sie den Unterschied zwischen "Politikverdrossenheit" und "Politikerverdrossenheit" nicht einmal genauer beschreiben, in Ihrem üblichen genauen, klaren, sachlichen Stil? Oder haben Sie das schon getan, und ich habe da was verpasst?

  • K
    Kaboom

    Liebe Frau Gauss, ich hätt da mal ne Frage:

    Die Bürger regen sich über den Armutsbericht auf. Die Bürger regen sich über die 25% im Niedriglohnsektor, die "Generation Praktikum", die zerbröselnde Mittelschicht, etc. pp. auf

    Und die Frau, die all das verzapft hat, ist die beliebteste Politikerin. Und die Partei, die das verzapft hat, die CDU steht so gut da, wie seit Jahren nicht. Wie kann das sein?

  • A
    anke

    Ich glaube, Sie irren sich, Frau Gaus. Es ist nicht Dummheit. Es ist Arroganz, wenn offizielle Berichte vor aller Augen manipuliert werden. Die Arroganz der Macht.

     

    Immerhin ist diese Arroganz ja bei weitem nicht mehr so berechtigt, wie sie es vor Jahren noch war. Die Realität, nämlich, ist nicht mehr zu unterdrücken. Sie ist sichtbar, und zwar für jeden, der Augen und Ohren offen hält. Ja, es gibt inzwischen andere Quellen als die offiziellen Verlautbarungen. Eigene praktische Erlebnisse können an Erfahrung und an Gedanken gemessen werden, die andere Menschen (sich) gemacht haben. Menschen, die bisher zwar keine eigene Stimme hatten, dafür aber schon immer eine Mehrheit. Was also sollte schlecht sein an der Nachricht, dass Regierungspublikationen, die nicht länger moralischer, ehrlicher bescheidener oder klüger scheinen, als sie tatsächlich sind, nicht mehr gebraucht werden – von den Regierenden nicht und schon gar nicht von ihren Gegnern?

     

    Danke, liebes US-Verteidigungsministerium, kann ich zu all dem eigentlich nur sagen. Ich danke für das Internet! Ich weiß, DAS hast du eigentlich gar nicht gewollt.

  • H
    HamburgerX

    Die Tatsache ist, dass die Armutskennziffern in den letzten Jahren zurückgehen, und zwar trotz Börsen- und Eurokrisen. Auch die Realeinkommen steigen, die Vermögensungleichverteilung wird nicht größer.

     

    Und genau das ist relevant, wenn ein neuer Bericht vorliegt. Die Vorgänge zwischen 1998 und 2008 sind doch eher für rotgrünes Handeln interessant.

     

    Armut zudem wird sehr unterschiedlich definiert, Schwerpunkt ist für mich allerdings in Deutschland der nach wie vor bestehende Arbeitsplatzmangel. Der wiederum wird größtenteils durch fehlende unternehmerische Energie, zu hohe Steuern und zu viel Bürokratie verursacht. Rotgrün plant eine Reihe neuer Bürokratiegesetze, z.B. Frauenquote, Entgeldgleichheitsgesetze, Ausweitung der Gleichbehandlungsgesetze und andere totalitäre Eingriffe in die Entscheidungsfreiheit. Ebenfalls Steuererhöhungen und mehr Verstaatlichungen. Das heißt: Die politischen Pläne der Opposition sind offenkundig für mehr Armut geeignet, daher ist deren Kritik am Armutsbericht zusätzlich sehr fragwürdig.

  • W
    W.Wacker

    Natürlich war es ein Anfängerfehler von Rösler, den Armutsbericht so zu redigieren.

     

    Denn: die Zunahme der Reichtums-Ungleichheit endete im Jahr 2008, weil weitere Daten nicht vorliegen. Er hätte also reinredigieren sollen, dass unter der Verantwortung der Rot-Grünen Regierung die Ungleichheit stark zugenommen hat. Und das die Regierung erwartet(!), dass durch die Zunahme der Beschäftigung sich das jetzt bessert.

     

    Hätte das die Schreier ruhig gestellt? Vermutlich auch nicht.

    Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.