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Kolumne MachtEs geht nicht um Befindlichkeiten

Bettina Gaus
Kolumne
von Bettina Gaus

Bei einem Völkermord hat die Staatengemeinschaft nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht zur Intervention. Sagt das Völkerrecht.

Berlin sollte handeln. Bild: dpa

G eht das gleichzeitig: sich viel zu wichtig nehmen – und nicht wichtig genug? Einfach ist das nicht, aber möglich. Die Bundesregierung beweist in diesen Tagen, dass sie auch schwierige Aufgaben bewältigen kann. Sie kriegt das hin.

Internationale bewaffnete Konflikte eignen sich hierzulande gut als Projektionsfläche für die eigene Befindlichkeit und für eine Wertedebatte. Übrigens nicht nur für die Politik, sondern auch für Stammtische und Medien. Kriegstreiber versus naive Pazifisten, alle werfen sich gegenseitig Herzlosigkeit und Zynismus vor. Schön vertraut.

Allerdings gilt der Mechanismus nur für neue und deshalb interessante Kriege. Wenn Leute in Gegenden sterben, aus denen oft Grausamkeiten gemeldet wurden, dann wendet sich das Publikum gelangweilt ab. In dieser Hinsicht sind die Verbrechen der Terrorgruppe IS ideal, um eine alte Diskussion zu beleben.

Den Opfern des sogenannten Kalifats wird die Kontroverse vermutlich wenig nutzen. Waffenlieferungen an irakische Kurden können den Flächenbrand in der Region nicht löschen. Leider ist es nicht einmal sicher, dass die sechs Bundeswehrsoldaten, die jetzt in den Nordirak geschickt wurden, die militärische Wende herbeiführen werden.

taz. am Wochenende

Kommt das Wissen der Zukunft aus dem Hinterhof? Bürgerwissenschaftler verzichten zugunsten ihrer Unabhängigkeit auf Diplome und Gehälter, haben dafür aber oft mehr auf der Pfanne als ihre professionellen Kollegen. Der Stand der Forschung in der taz.am wochenende vom 6./7. August 2014. Auf der Couch des taz-Psychoanalytikers Christian Schneider ist dieses mal die CSU-Spitzenpolitikerin Dorothee Bär. Und: Hessens Grüner Wirtschaftsminister Tarek Al Wazir wundert sich selbst, dass Schwarz-grün so reibungslos funktioniert. Und erklärt im Gespräch, warum. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Wenn man der Bundesregierung nicht unterstellen möchte, durch Aktionismus lediglich Tatenlosigkeit verschleiern zu wollen, dann zeugen alle bisherigen Initiativen von Selbstüberschätzung. Was Deutschland im Alleingang unternimmt, ist nämlich ziemlich egal. Berlin sollte sich nicht so wichtig nehmen.

Waffenlieferungen an irakische Kurden

Aber vielleicht doch wichtiger als bisher. Deutschland ist eine ziemlich bedeutende Mittelmacht. Die deshalb durchaus Einfluss ausüben kann – beziehungsweise: könnte. Auf Verbündete, beispielsweise.

Das Klima zwischen den Großmächten USA, Russland und China ist derzeit kühl bis eisig. Dennoch konnten sich alle Mitglieder des UN-Sicherheitsrats auf eine Verurteilung des IS einigen. Alle. Eigentlich ist das eine Sensation. Und welche Konsequenzen wurden daraus gezogen? Keine.

Bei einem Völkermord hat die Staatengemeinschaft nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht zur Intervention. Sagt das Völkerrecht. Deren Urheber nicht so blauäugig waren, wie heute gerne behauptet wird.

Der Völkermord in Ruanda ist 20 Jahre her. Die Selbstbezichtigungen, dass man damals mehr hätte tun können und müssen, liegen gerade mal ein paar Monate zurück. Konsequenzen? Wiederum: keine.

Selten – vielleicht nie – seit dem Zweiten Weltkrieg standen die Chancen so gut, durch gemeinsames Vorgehen und im Einklang mit geltendem Recht einem Völkermord Einhalt zu gebieten. Es bedürfte nur eines entsprechenden UN-Mandats. Pech für die Opfer, dass daran wieder einmal kaum Interesse zu bestehen scheint.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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16 Kommentare

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  • Hey, sechs Budswehrsoldaten ? Da hätte ich doch zwei mehr geschickt. Was soll der Geiz ?

  • Eingreifen... Waffen liefern an... alle! Überall! So holte sich Deutschland, und holt sich alljährlich, die weltweite Bronze in dieser Disziplin des Tötens...

     

    Eingreifen? Ja! Aber wie? Hier etwas nachzulesen, zur »Schutzverantwortung« (»Responsibilty to Protect«, kurz »R2P«), dem sich nach und nach zum Guten entwickelnden internationalem Recht. Von den chaotischen Kriegen über geregelte und später auch geächtete Kriege – vom 30jährigen Krieg, über den 1. und den 2. und die nachfolgenden – zu den Menschenrechten und zur Verantwortung der Weltgemeinschaft für jede/n Einzelne/n, auch über die Grenzen hinaus, in die Grenzen hinein.

     

    Mehr zu »R2P« (googeln:-):

    http://google.com/search?q=r2p

     

    Wissen die Merkel (plural:-), die Steinmeiers, die Leyen (keine 'von' in Demokratien:-) – und, wenn man sie schon hat, auch die Gaucks – wirklich nichts, rein gar nichts davon?

     

    Etwas dazu in der nzz.ch lesen, von Oliver Diggelmann, Uni Zürich:

    – "Die menschenrechtliche 'Imprägnierung' der [staatlichen] Souveränität", NZZ (Debatte) 8.11.12

    http://nzz.ch/~/die-menschenrechtliche-impraegnierung-der-souveraenitaet-1.17772475

    – "Syrien ist nicht Libyen – Die Lähmung des Uno-Sicherheitsrates und das Prinzip der Schutzverantwortung", NZZ (Debatte) 5.6.12

    http://nzz.ch/~/syrien-ist-nicht-libyen-1.17179661

     

    EINLADUNG (fwd:-)

     

    Am nächsten NZZ-Podium Berlin, am Montag 15.9.14, zum Thema "Der europäische Traum vom ewigen Frieden"

    http://podium-berlin.nzz.ch/event/der-europaische-traum-vom-ewigen-frieden-2/

    kann man u.a. auch den Autor in persona treffen (und hören:-), auch fragen (?):

    http://podium-berlin.nzz.ch/person/oliver-diggelmann/

     

    Ich gehe auch Tilman Brück, SIPRI, wegen hin:

    http://podium-berlin.nzz.ch/person/tilman-bruck/

  • In den letzten Wochen haben wir in Deutschland Zehntausende von Menschen auf den Strassen gesehen, als es darum ging, gegen Israel während des Gazakrieges zu demonstrieren.

    Offene Briefe von Kulturträgern , die sich vehement gegen Israel wandten.

    Israelbashing in den Medien in einer bisher ungekannten Art.

     

    Wo sind all diese Menschen jetzt, um gegen IS zu demonstrieren, und diese Barbaren von ihrem Mordzug durch den Orient aufzuhalten??!!

     

    Oder ist all das Geplapper um Frieden und Gerechtigkeit nur dann passend, wenn man sich gegen Israel aktivieren kann?

    Es besteht in der Tat Verdacht auf Verlogenheit und Doppelmoral.

  • ach Frau Gaus, wenn man Ihren Artikel liest dann sollte man meinen dass Sie fuer eine Erhoehung des Veteidigungsetats, den Ausbau der Bundeswehr, und den Aufbau von Kapazitaeten fuer internationale Einsaetze (Flugzeugtraeger, Kampfhubschrauber, mobile Einsatzkraefte) seien muessten. Auf diesen Artikel wered ich aber wohl noch eine Weile warten muessen. Ausserdem moechte ich an den Spruch von Tilly (Feldherr im 30jaehrigen Krieg, ich nehme mal an Ihre Geschichtskenntnisse reichen nur etwa 80o Jahre zurueck) erinnern: Zum Kriegfuehren braucht man drei Dinge: Geld, Geld, und noch mehr Geld. Da der Kuchen aber nur eine beschraenkte Groesse hat, muessten fuer den Aufbau der oben erwaehnten Kapazitaeten wohl andere Sachen wie soizale Wohltaten wegfallen..

  • Und warum gibt es kein "entsprechendes UN-Mandat"? Weil EIN wichtiges Land im Sicherheitsrat das nicht will. Das kann man ruhig erwähnen.

    • @Bernado:

      Ja, das Veto von Privilegierten ist eins der UNO-Probleme, der – längst überholten – Überbleibsel aus der Nach-2.Welt-Kriegszeit.

  • "Die Bundesregierung beweist in diesen Tagen, dass sie auch schwierige Aufgaben bewältigen kann."

     

    Wodurch denn? PKW-Maut?

    Spätestens beim Zwölffingerdarm sollte man auch mal an Rückzug denken.

  • "..Leider ist es nicht einmal sicher, dass die sechs Bundeswehrsoldaten, die jetzt in den Nordirak geschickt wurden, die militärische Wende herbeiführen werden. .."

     

    Wo bin ich?

    • @lichtgestalt:

      Es wird hier echt immer irrer.

  • liebe bettina gaus, wenn ich denn den kommentar von den vielen gedank-lichen "könnten", "würden", "möchten", "vielleichts" befreie, bleibt von der bewunderung für die bundesregierung nicht viel übrig. unser agiler aussenminister hat eigentlich kein politisch erkennbares ziel bei seiner wohl eher administra- tiven kompetenz, um sich in der ost-west-propagandaschlacht zu behaupten. ihr anspruch an das völkerrecht und den sicherheitsrat ist hoch; aber der sicherheitsrat ist die einzige instanz, die das friedensgebot der un-charta durchbrechen kann. das von den mächtigen strapazierte institut "responsibilty to protect" (r2p) soll als völkerrechtswidriges gewohnheitsrecht für sogenannte humanitäre interventionen missbraucht werden. deshalb bleibt der sicherheitsrat die einzige rechtliche instanz. diese instanz soll merkel aktivieren, statt sich dem kriegstreiberischen geschrei des us-hörigen nato-generalsekretärs unter aufgabe unserer souveränität zu unterwerfen. die menschen hoffen auf eine mutige deutsche frie- denspolitik, keine die mit hechelnder zunge den imperialen gelüsten der usa/nato dient.

  • warum können wir nicht unseren gesunden Menschenverstand sprechen lassen und warten auf ein UN Mandat, darf ich erinnern, im Kongo wurde ein Frau erschlagen, vor den Füssen eines UN Offiziers, er konnte nicht eingreifen, sagte er, dazu hätte er kein Mandat, warten wir nicht auf ein Mandat , das nie kommt siehe UN Soldaten auf dem Golan, das sind Mandate-Zahnlos-Hilflos!

  • ENDLICH !

     

    Seit Tagen warte ich auf einen Aufruf in der TAZ, das Bewusstsein der Leser zu fokusieren und aktivieren, das dies EIN WECKRUF für die westliche Welt ist, ihre humanen und moralischen Werte auch umzusetzen, um unschuldiges Leben , das durch Barbaren im fernen Orient nicht nur gefährdet ist, sondern bereits geopfert wird, effektiv zu schützen.

    Wo sind alle die Gutmenschen und Weltverbesserer, wenn es wirklich mal darauf ankommt.

    DER AUFSCHREI MUSS JETZT SEIN !!

    Mit jedem Tag der vergeht, machen wir uns mit schuldig.

    • @Mal Mel:

      Ach Mal Mel, der Aufschrei sollte sich doch erst einmal an die Regierungen richten, die die Isis bisher unterstützen.

      Und da wäre doch für Sie die Regierung des Landes, in dem Sie leben, das Nächstliegende.

      Fordern Sie doch einfach von ihrer Regierung, keine verletzten Isis-Kämpfer mehr in den eigenen Krankenhäusern zu versorgen, und keine Einsätze der Luftwaffe in Syrien mehr. wenn die Isis in Schwierigkeiten ist, und keine Informationen mehr für die Isis durch die eigene Aufklärung.

      Jeder kehre doch vor seiner eigenen Tür.

      • @Bernado:

        Größeren Wirrwarr habe ich lange nicht gelesen.

        Es ist kein Geheimnis, dass Israel die KURDEN unterstützt .

        Verletzte Syrer , meistens sind es Zivilisten, für die ein israelisches Feldkrankenhaus an der Grenze errichtet sind, stammen aus den sekulären Milizenkreise.

        Sie glauben ja wohl nicht im Ernst, dass sich Kämpfer der Isis, der extremsten Islammilize, die die Welt in diesem Jahrhundert gesehen hat, von einem israelischen Arzt einen Verband anlegen lassen würden?????!!!

    • @Mal Mel:

      Kann es sein, dass der Aufschrei immer nur dort erfolgt, wo es gewissen Mächten gerade schön passt? Andere, auf gleiche Weise Leidende aber kein Gehör finden, weil die Presse nicht berichtet? Oder keinen Auftrag für einen "Weckruf" erhalten hat?

       

      Dass jemand schreibt: "Endlich!", "Ein Weckruf", ist ja nur möglich nach langer, umfassender Seelenmassage, eine Seelenmassage, die man seit längerem in unserer Medienlandschaft und im Politikbetrieb (Gauck!) wachsen sehen kann. Erinnert mich das nicht an meinen Geschichtsunterricht?

    • @Mal Mel:

      welcher Aufschrei, man hääte Bush und seine Spiesgesseln damals in die Arme fallen sollen, wegen eines Mannes, der mal ein Freund war, 100.000, ja Millionen Menschen ins Unglück zustürzen, musste das sein,