Kolumne Macht: Hilfe! Merkel ist in uns
Warum finden Linksliberale nichts irrelevanter als das Thema „Umwelt“ und nichts schlimmer als sogenannte „grünlackierte Schwarze“?
I ch wollte mit linksliberalen Twentysomethings über Klimawandelbewältigung sprechen. „Ach, es gibt tausend Sachen, um die ich mich kümmern muss“, sagte eine durchaus sympathische Frau, „da stelle ich Umwelt hintenan.“
Dieses Argument wurde so lange variiert, bis ich unwirsch rief: „Es geht nicht um Umwelt, es geht um alles, ihr Nicht-Checker.“ Interessant, sagte daraufhin ein durchaus sympathischer Mann. Aber bei Öko denke er sofort an „grünlackierte Schwarze“. Die meisten nickten und schauten angewidert.
Tja: Diese beiden Gefühle sind zentral für den gesellschaftlichen Stillstand. Erstens: Im Gegensatz zu Adoptionsrecht für Homopaare, Mindestlohn und Stellenausbau für die Sprachpolizei wird die sozialökologische Transformation als Umweltgedöns verstanden. Und zwar – zweitens – für grünlackierte Schwarze. Boaaah. So was kommt offenbar gleich hinter Pegida. Im besten Fall.
Der Klimawandel mag ein Problem sein, aber deshalb sind grünlackierte Schwarze noch lange keine Co-Menschen, mit denen sich progressive, emphatische, dem Fremden aufgeschlossene Linksliberale einlassen. Sondern Feinde, die man als neoliberale Dachgeschoss-Schwaben diffamieren und moralisch delegitimieren muss. Gerade auch in der eigenen Partei.
In die Hölle
Warum ist das so? Weil die Linksliberalen historisch und kulturell so geprägt sind, wie sie geprägt sind (1968, Grüne, Anti-Kohl, Tatort, Pinot Grigio ab zehn Euro). CDU fühlt sich einfach falsch an. Ich weiß ja selbst nicht, ob es überhaupt möglich ist, in der Wahlkabine CDU anzukreuzen. Oder ob die Angst nicht zu stark wäre, dafür in die Hölle zu kommen.
Die Frage ist: Wer soll denn mit wem die sozialökologische Transformation machen, welche Mehrheit soll eine ökosoziale Wirtschaft und Gesellschaft gegen die fossilliberale durchsetzen? Die derzeitige Antwort ist offensichtlich: Gar keine. Die Ressentiments dienen der Bestätigung einer Haltung, die letztlich auf nichts hinauswill. Das ist verständlich, denn es bedient ein Bedürfnis nach Sicherheit. Wer in geistiger Deckung bleibt, kriegt zumindest keinen Shitstorm ab.
Wenn man seine klare Weltsicht (Patti Smith gut, Jürgen Drews böse) aufgibt, bekommt man Probleme mit der Realität, in der CDU und SPD den CO2-Kapitalismus gleichermaßen engagiert stützen und befeuern. FDP und Linkspartei sowieso. Und genau da wird es interessant. Das Primat der sozialökologischen Transformation ist der öffnende Gedanke, der neue Bewegung bringt in ein – politisch, kulturell und emotional – erstarrtes Lagerdenken und ein fades Leben im richtigen Geschwätz.
Jetzt mal unter uns Pastorentöchtern: Wer denkt, es gehe nur ohne Merkel, ist komplett unpolitisch, denn dann geht es gar nicht. Das weiß sogar Sigmar Gabriel. George Packer hat in einem New-Yorker-Artikel unsere widersprüchliche Gegenwart auf den Punkt gebracht, als er herausarbeitete, dass Hauptstadtjournalisten die Kanzlerin ablehnen und wählen. Sie lehnen sie ab, weil sie der Zukunft ausweicht, und sie wählen sie, weil sie der Zukunft ausweicht. Hauptstadtjournalisten sind kritische Opportunisten, also repräsentativ. Ergo: Wir sind nicht „Merkel“, aber „Merkel“ ist ein großer Teil von uns. Das ist hart, aber das muss man zunächst an sich ranlassen, um damit umgehen zu können.
Der Schlüssel ist der Gedanke des Primats der sozialökologischen Transformation. Wenn wir unsere heterogenen Minoritäten-Besitzstandswahrungsbündnisse rational und emotional unter diesem Dach verknüpfen, dann haben wir die Chance auf eine Mehrheit für Zukunft. Dafür müssen speziell die Grünen den ökofremdelnden Linksliberalen klarmachen, wie sie das Soziale einbinden.
Petra Reski hat am eigenen Leib erfahren, wie schwer es ist, das Treiben der Mafia in Deutschland publik zu machen. Das liegt nicht nur am Presserecht, sondern auch an der Weigerung, das Problem sehen zu wollen. Mehr in der taz.am wochenende vom 11./12. April 2015. Außerdem: Auf dem Amerikagipfel treffen sich Obama und Raúl Castro. Was bedeutet die angekündigte Öffnung für das Land, das seit fast sechs Jahrzehnten seinen eigenen sozialistischen Weg geht?. Und: Die Codes der Kunstszene und die Gerüche der Rebellion: eine Begegnung mit der Autorin Rachel Kushner. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Das ändert aber nichts daran: Wo die Mehrheit ist, da ist Merkel. Das kann man auch positiv sehen. Die macht dann schon mit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
Berlin nimmt Haftbefehl zur Kenntnis und überlegt