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Kolumne LiebeserklärungDanke, Faktenprüfer

Markus Kowalski
Kolumne
von Markus Kowalski

In der „Spiegel“-Affäre kamen Faktenfinder schlecht weg. Der Fall Menasse zeigt, wie wichtig es ist, dass es sie gibt: Menschen, die nachschlagen.

Druckprüfung in einer Maschinenfabrik in Heidelberg – so manch anderes Druckerzeugnis braucht ebenfalls strenge Prüfer Foto: dpa

S ie sind schwer zu finden. Ihr Lebensraum ist ein Schreibtisch, von dem aus sie stumm das prüfen, was andere für wahr halten. Weil sie erst einmal nichts glauben, sind sie hungrig nach Fakten, Quellen und Beweisen. Am besten alles schriftlich und schwarz auf weiß: die Faktenfinder.

Bislang kannte kaum jemand diese Spezies der Wahrheitssucher, denn gemeinhin ist sie unsichtbar. Meist hinterlässt sie keine Spuren, da sie alle Fehler aus den Texten der Journalisten entfernt hat.

Leider hat sich jüngst gezeigt, dass ihr immer nur dann besondere Ehre zuteil wird, wenn Fehler in Texten auftauchen, die schon gedruckt sind. Wenn gar ganze Geschichten erfunden waren und es niemand gemerkt hat. Die Mitarbeiter der Spiegel-Dokumentation haben dieses Problem. All die Male, als sie dafür sorgten, dass alles stimmte, wäre niemand auf die Idee gekommen, ihnen dafür einen Preis zu verleihen. Doch als im Zuge der Relotius-Affäre herauskam, dass sie mehrfach versagt hatten, waren sie plötzlich in aller Munde. 2018 endete schlecht für Faktenfinder.

2019 aber beginnt gut für sie. Mit dem Fall Robert Menasse. Der Schriftsteller hat mehrfach in nichtliterarischen Äußerungen eine Rede des einstigen EWG-Kommissionsvorsitzenden Walter Hallstein zusammenfantasiert. Berauscht von der Autorität des Literaten, haben gewiss viele dessen Behauptungen einfach weitergetragen. Nicht so der Historiker Heinrich August Winkler. Er machte sich die Arbeit, mal nachzuschlagen. Er prüfte die Rede mit seinen kritischen Historikeraugen und deckte die Fälschung im Spiegel auf.

taz am wochenende

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Die emphatische Europa-Rede von Hallstein ist zu schön, um wahr zu sein. Wir wollten es glauben. Dass der ehemalige Kommissionspräsident die Notwendigkeit einer europäischen Einigung mit einer pathetischen Rede in Auschwitz begründete, passte für viele enthusiastische Proeuropäer einfach zu gut ins Bild. Wie toll, dass es noch Leute gibt, die erst mal nichts glauben, auch wenn es gut klingt.

Dieses nüchterne Nachprüfen macht einen selten weltberühmt, hat aber die Macht, eine ganze Medien- oder Literaturbranche in Schockstarre zu versetzen. Der kritische Blick ist die mächtigste Waffe der Faktenprüfer. Das Schöne daran: Jeder, der erst mal nicht alles glaubt, kann zum Faktenprüfer werden. Sie werden dringend gebraucht.

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Markus Kowalski
Autor
Ich berichte über Politik, insbesondere LGBTI, Menschenrechte, soziale Bewegungen. Gern auch investigativ.
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3 Kommentare

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  • Es hat auch damit zu tun, dass die meisten Journalisten heute weniger aus einer Liebe zu ihrem Handwerk heraus arbeiten, sondern weil sie eine politische Mission fühlen. Wir alle haben die Statistiken gelesen, das 72 % der Journalisten links oder grün sind. Was eine schöne Sache ist - es ist super eine Überzeugung zu haben. Aber vielleicht sollte man dann lieber ein politischer Aktivist werden. Und weil die Budgets und Redaktionen ständig schrumpfen, machen dann nur diejenigen weiter, die bereit sind für ihre Überzeugung zu leiden. Wobei ich bereit wäre historisch zu vergleich, wie gut eigentlich der Journalismus beispielsweise 1989 oder 1959 war.

    • @Mark2013:

      Also, daß 72% der Journalisten sich selbst für links/grün halten - wo steht das? und wie definiert man sich als links/grün ?? Ich habe eher den Eindruck, daß gefühlt 90% der Journalisten rechts von mir stehen... OK, kann man natürlich sagen, ich wäre linksradikal... Mein Maßstab ist in der Aussenpolitik verankert, speziell im Umgang mit den NATO-Aktionen. Also, wie gehen die Journalisten mit den Punkten um, wo erkennbar wird, daß die NATO-offiziellen Verlautbarungen tangiert werden. Ukraine, Syrien, Russland sind die zentralen Punkte, wo auch eine 'taz' für mich überraschend einseitig auf der Linie der NATO-Presse-Verlautbarungen schwimmt. Ich erwarte genau dort das kritische Hinterfragen, nicht das nachbeten (übrigens auch nicht das nachbeten der anti-NATO-Position!). Wer uns ohne echte Notwendigkeit 2% des Bruttosozialprodukts für Rüstung abschwatzen will, sollte mit aller journalistischen Finesse angegangen werden!!

      • @dodolino:

        Diese Beobachtung teile ich.



        In diesem Zusammenhang auch der Hinweis auf den 35C3-Vortrag von Martin Sonneborn, zu finden u.a. bei DuRöhrst, der darin nebenbei erwähnt, wie ungewöhnlich es ist, dass die deutsche Medienlandschaft nicht über den enormen Kriegsforschungsetat berichtet, den der Friedensnobelpreisträger EU fürs neue Jahr beschlossen hat …