Kolumne Liebeserklärung: Weg mit der Bahnsteigkarte
Die Christdemokraten in Hamburg lassen den ohnehin angeschlagenen SPD-Bürgermeister Olaf Scholz noch etwas schlechter aussehen.
D ie Hamburger CDU hat einen kleinen PR-Coup gelandet – einen, der den ohnehin angeschlagenen SPD-Bürgermeister Olaf Scholz noch etwas schlechter aussehen lässt: Sie fordert die Abschaffung der Bahnsteigkarte im öffentlichen Nahverkehr. Und der rot-grüne Senat lehnt ab.
Das ist zunächst einmal komisch, weil die Bahnsteigkarte im linken Gedächtnis seit langem mit einem Lenin-Zitat verknüpft ist: „Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas. Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!“ Olaf Scholz ist bekanntlich ein besonders rechter Sozialdemokrat, der mit revolutionären Umtrieben so wenig am Hut hat, dass er sie nicht einmal vorausahnte, als er die Welt zum G20-Gipfel in die Autonomen-Hochburg Hamburg einlud.
Nun verteidigt sein Senat die Bahnsteigkarte, als gelte es, „Teddy“ Thälmann vom Hamburger Aufstand abzuhalten. Die Bahnsteige „stellen keinen Aufenthaltsbereich für Personen dar, die dort nichts zu suchen haben. Damit sorgen wir auch für Sicherheit und Ordnung“, verkündete die Sprecherin der SPD-geführten Wirtschaftsbehörde.
In der Praxis richtet sich die Bahnsteigkarte weniger gegen Revolutionäre als gegen Obdachlose und Bettler. 30 Cent kostet das Ticket und gilt eine Stunde. Wer es nicht hat, ist wegen Beförderungserschleichung dran. Die Deutsche Bahn hat die Bahnsteigkarte schon seit Langem abgeschafft. Unter den Großstädten hat nach CDU-Recherchen nur noch das ebenfalls SPD-regierte München ein solches Ticket.
„Law and order is a Labour issue“ – dieses Tony-Blair-Zitat mag vielleicht nicht im verlotterten Berlin gelten, wohl aber im Scholz-regierten Hamburg. Dem Bürgermeister, der damals Innensenator war, sitzt noch immer der verlorene Wahlkampf 2001 gegen den Rechtspopulisten Ronald Schill in den Knochen. Der Richter versprach damals das große Aufräumen in der Hansestadt, auch in der Drogenszene am Hauptbahnhof.
Deshalb kann die CDU so lange über die Bahnsteigkarte als „Relikt aus den frühen Tagen des Eisenbahnzeitalters“ spotten, wie sie will – solange der „Scholzomat“ regiert, dürfte sie bleiben. Weil Scholz' Image als Hardliner schon durch den Juli-Krawall in der Schanze gelitten hat, wird er gegen Drogensüchtige und Obdachlose hart bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Olaf Scholz in der Ukraine
Nicht mit leeren Händen