Kolumne Liebeserklärung: Händchenhalten boomt

Frühlingserwachen ohne Pfötchengeben? Undenkbar! Und nun ist die zarte Geste auch noch immens politisch geworden.

Comic: Ein kleiner Mensch hält eine große, orangefarbene Blume in der Hand, über seinem Kopf schwebt ein rotes Herz

Ein bisschen Liebe für diese Erde Foto: TOM

Das Ansehen des Händchenhaltens im semisexuellen Kontext hat im Verlauf der Zeit ein wildes Auf und Ab erlebt. In unserer Jugend eher ein Auf: Das Händchenhalten war eine von vielen wichtigen Wasserstandsmeldungen entlang des schier endlosen Tränenflusses, der am Ende in das Meer der Geschlechtsreife mündete. Hielten zwei Pubertierende miteinander Händchen, hatten sie es praktisch schon geschafft: Für die nächsten Minuten, wenn nicht gar Stunden trauten Glücks waren sie geradezu verheiratet. Erblickten die Alten derlei Schweinefrevel vor der Eisdiele, zischten sie Verwünschungen.

Mit zunehmender Aufklärung ließen sich jedoch manche Wahrheiten nicht länger leugnen: das unangenehme Schwitzen der Handflächen; das Gefühl immanenter Sinnlosigkeit; das mühsame Rangieren des klobigen Turteltandems durch belebte Straßen; der fragwürdige Anblick eines Paars, das wirkt, als habe ein Kopfgeldjäger den anderen verhaftet, was wiederum die Assoziation einer gegenseitigen Inbesitznahme weckte, die in dieser Absolutheit längst nicht mehr zeitgemäß wirkte. Die Alten waren wir nun selber.

Mit dem Comeback ausgefallener Geschlechtskrankheiten sowie dem Rückzug in die einsame Pornografie hier und das gemeinsame postlibidinöse Sofakuscheln dort dreht sich der Wind erneut: Im Vergleich zu seinen einst verheißungsvollen Steigerungen Küssen (eklig, nass, Bakterien, Zwiebeln) und Vögeln (anstrengend, feucht, Viren, Kinder) gilt das Händchenhalten heute als das kleinere Übel.

Und neuerdings steht ihm ein weiterer Boom bevor, da in den Niederlanden Politiker vor laufenden Kameras Händchen halten, um Solidarität mit einem schwulen Ehepaar zu demonstrieren, das in Arnhem von homophoben Drecksäcken zusammengeschlagen wurde, als es öffentlich Händchen hielt.

Mit der friedvollen Neuinterpretation der „Brücke von Arnheim“ bricht das Händchenhalten sogar aus den heteronormativen Bezügen dieses Textes aus und auf in eine goldene Zukunft. Wenn man die Hände einpudert, schwitzen sie auch nicht so.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.