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Kolumne LiebeserklärungMax Kruse, Stürmer

Jürn Kruse
Kolumne
von Jürn Kruse

Der Spieler des VfL Wolfsburg muss für seine privaten Sünden büßen wie kein anderer Fußballer. Das hat er nicht verdient.

Kruses Leben: Party, Poker, lange Nächte. Und Fußball Foto: dpa

E inen „Denkzettel“ wollte Bundestrainer Joachim Löw verpassen. Empfänger: Max Kruse, Stürmer. Löw hat Kruse zu Wochenbeginn aus dem Kader der Nationalmannschaft gestrichen.

Worüber Kruse laut „Denkzettel“ wohl sinnieren soll? Darüber, dass ihm im Oktober 2015 75.000 Euro Bargeld in einem Taxi abhandengekommen sind? Oder dass ihn eine Reporterin von Bild bei seiner privaten Geburtstagsfeier mit dem Handy fotografierte, er es ihr daraufhin entriss und die Fotos löschte, was sie wiederum umgehend ihrem Arbeitgeber steckte? Oder dass gerade jetzt ein wohl zwei Jahre altes Video auftaucht, das Kruse nackt zeigt?

Vielleicht sollten Löw und sein Nationalelf-, Pardon, sein Die-Mannschaft-Manager Oliver Bierhoff mal darüber nachdenken, warum sie ihr Moralin nicht gerecht verteilt auf alle Nationalspieler auskotzen?

Marco Reus fuhr zum Beispiel jahrelang ohne Führerschein herum. Er bekam vom Gericht einen Strafbefehl, musste mehr als eine halbe Million Euro zahlen. Und was gab’s vom Bundestrainer? Eine milde Ermahnung. Sonst nichts. „Ich weiß nicht, ob man jetzt die Sache von Marco Reus mit Max Kruse vergleichen kann“, sagte Löw unter der Woche: „Das möchte ich mal so ein bisschen bezweifeln.“ Stimmt. Das, was Reus gemacht hat, war viel schlimmer. Aber der Marco habe ja nicht unprofessionell gegen seinen Arbeitgeber gehandelt, sekundierte Bierhoff. Stimmt. Er hat nur unprofessionell gegen alle anderen Verkehrsteilnehmer gehandelt. Moralische Werte des DFB, powered by Mercedes, oder was soll das sein?

Max Kruse mag nicht das biedere, werbekundenoptimierte Leben eines Profis führen, wie es sich die Spießer bei der Nationalelf wünschen, aber immerhin: Er führt eins. Ein richtiges, kein verlogenes. Mit Party. Mit Poker. Mit langen Nächten. Und: gegen den modernen Fußball à la Olli Bierhoff.

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Jürn Kruse
Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.
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7 Kommentare

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  • Nun rinnen mir ad hoc die unterdrückten Tränen,

    da ich dem Klatsch mich gern entziehe immerdar.

    Wenn ich auch annahm, hier Sicherheit zu wähnen,

    (Oh, in mein Schluchzen mischt sich wohl ein Gähnen?),

    bin ich doch froh, dass ich heut wieder bei euch war.

    • @lions:

      Ich träumte einst, ich konnte editieren,

      dem *in* den rechten Platz noch zu gestehn.

      Nun muss ich bei dem Anblick schrecklich frieren,

      versehrt in Forumtiefen untergehen.

  • Man kann sich nur mit öffentlich verfügbaren "Informationen" nicht sicher sein, worum es hier eigentlich geht. Angesichts der medial aufgehypeten "Vorwürfe", die entweder nichtig oder ohne besonderen Aufwand verständlich/erklärbar sind, kann man mit Sicherheit die "moralischen" Aspekte der Beurteilung des Bundestrainers ("Vorbildfunktion" etc.) völlig vergessen. Kruses Problem scheint viel eher zu sein, dass er fachlich schon in der letzten MGladbach-Phase, aber noch deutlicher in Wolfsburg, seinen Fokus, seinen Antrieb zum und im Spiel verloren oder zumindest nicht im Mittelpunkt hat. Er ist immer noch ein wichtiger Top-Spieler der Liga, der jedem Verein in der Offensive helfen kann - aber für eine Bestenauswahl würde es nur dann reichen, wenn es Fehlstellen in der Offensive gäbe. Was aber seit vielen Jahren nicht der Fall ist in der DFB-Auswahlmannschaft. Aber ein Defensiv-Artist, den man dringend bräuchte, wird Kruse nicht mehr werden. Fachlich muß er ähnlich wie Schürrle wieder mehr Biss auf dem Platz bekommen.

  • Aus dieser „Liebeserklärung“ erfahren wir, wie ein „richtiges, kein verlogenes“ Leben aussieht: "Mit Party. Mit Poker. Mit langen Nächten,“ bei denen man auch mal 75000 € verschusseln kann.

     

    Da sollte man eher keine polnische Krankenschwester in Deutschland oder ein thailändischer Reisbauer im Nordosten seines noch schönen Landes sein. Das sind dann wohl die menschlichen Existenzformen der „loser“, der "unten" gebliebenen Masse. DIE sollen die Reus, Kruse, Winterkorn oder Middelhoff für extrem günstiges Geld am Krankenbett pflegen bzw. mit edel parfümiertem Thaireis versorgen. Ein „loser“, der kein „richtiges und nicht verlogenes“ Leben führen KANN, DARF auch nicht besser bezahlt werden, denn sonst könnten die „winner“ ja nicht „richtig“ leben.

     

    Vielleicht wurde Kruse im Vergleich zu Reus etwas ungerecht behandelt. Ich habe darüber schon 2 Millisekunden geweint. Ist das ein Skandal? Ist es nicht 10000x skandalöser, dass Menschen UNENDLICH MEHR Geld (volkswirtschaftlich GEMEINSAM erwirtschaftetes Vermögen) „verdienen“ als andere, und das allermeist noch für Tätigkeiten, die JEDER REALEN NÜTZLICHKEIT entbehren? Schreit es nicht zum Himmel, wenn folgendes Gesetz in unserer heutigen globalen (Un-)Kultur zu gelten scheint: Je nützlicher und lebenswichtiger eine Tätigkeit, desto schlechter wird sie vergütet?

     

    Nein, Kruse tut mir nicht Leid. Und eine Liebeserklärung verdient eher die anonyme Krankenschwester aus Polen oder der genauso anonyme thailändische Reisbauer.

    • @Harald Oswin Haas:

      Ich finde es erschrekend für welch krude Argumentationen Krankenschwestern (im besonderen aus Polen) mittlerweile herhalten müssen ... Man mag die Gehälter beider als Missstand empfinden, allerdings kann es nicht sein einen Misstand mit dem anderen zu rechtfertigen .....

  • Der Bericht gefällt mir. Jogi (oh Gott) will angepasste, geschniegelte Spieler mit mächtig viel Haargel. Und hübsch anzusehen sollten sie auch sein:) Kantige Typen wie Max Kruse passen da nicht ins Bild. - Der Vergleich mit Reus passt! Gut gemacht, Jürn!

  • 2G
    27741 (Profil gelöscht)

    Was Fußballer garantiert nicht verdient haben ist ihr Einkommen. Das ist zu einem Großteil durch Werbung finanziert. Hinzu kommen noch die Gelder die durch überteuerte Merchandisingprodukte eingenommen werden, welche für einen Hungerlohn in einem Drittweltland hergestellt werden.