Kolumne Liebeserklärung: Das Riesending im Sommerloch
Lasst die Höhle auf! Wir hoffen auf Nachahmer, denn die mediale Aufbereitung der Rettung des havarierten Höhlenmenschen war uns ein Fest.
V om Sommerloch ist Jahr für Jahr die besinnungslose Rede, aber erst 2014 haben wir es wirklich kennenlernen dürfen. Das Sommerloch ist ein Riesending. Es geht gut einen Kilometer in die Tiefe und zieht sich dort etwa sieben Kilometer in die Länge – so ganz genau weiß man das nicht und wird es wohl auch nie wissen.
Dem furchtlosen Höhlenforscher Johann Westhauser fiel beim furchtlosen Erforschen ein Stein auf den Kopf. Wann das war, wissen wir nicht mehr. Dort unten geht, genau wie hier oben, das Zeitgefühl schnell flöten.
Eine gefühlte Ewigkeit jedenfalls wurde über die Bergung des havarierten Höhlenmenschen berichtet. In der Ukraine rückt die rote Armee vor, im Nahen Osten sind 50 Millionen auf der Flucht, aber dem an Schädel und Hirn traumatisierten Verunglückten in seinem lichtlosen Sommerloch ging es „den Umständen entsprechend gut“. Uff.
Verkündet wurden die guten und immer besser werdenden Nachrichten stets von professionellen Höhlenrettern, den erstaunlich pragmatischen und verlässlichen Naturen von der umgekehrten Bergwacht. Gestritten wurde überirdisch darüber, ob der Begriff der „Bergung“ auf Lebende angewendet werden kann und auch darüber, „was das alles wieder kostet“.
Manuela Schwesig ringt darum, Kind und Karriere zu vereinbaren. Nicht nur als Familienministerin. Warum sie trotz eines Kanzlerinnen-Rüffels immer noch an ihre Idee von der 32-Stunden-Woche glaubt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./22. Juni 2014. Außerdem: Bekommen wir bald Vollbeschäftigung? Ein Vater blickt in die Zukunft seines Sohnes. Und im sonntaz-Streit: Nordsee oder Ostsee? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Doch das Schauspiel war es wert. Teilweise waren bis zu 70 Hebammen mit Steigeisen bereit, zum Zwecke der Wiedergeburtshilfe sich in das Sommerloch mit seinen steil abfallenden Felskaminen, aberwitzigen Hindurchzwängpassagen und schlammigen Bachläufen zu wagen. Feucht und eng und tief und im Grunde unergründlich war das Sommerloch, ein Fest also für Speläologen wie Psychoanalytiker. Nun soll der Eingang zum Riesending für alle Zeiten verschlossen werden, wie die McDouglas-Höhle in „Die Abenteuer des Tom Sawyer“. Schade. Man sollte sie wenigstens im Sommer für ein paar Tage öffnen. Damit „Nachahmer“ eine Chance auf eigene Erkundungen haben.
Der Gerettete? Wird bald bei Jauch von seinem parapränatalen und quasiuteralen Überlebenskampf berichten. Und dann, hoffentlich, auf Lesereise gehen. Mit den „Riesending-Monologen“.
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