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Kolumne Laufen"Eine Stunde, langsam, langsam"

Deutsche Langläufer, die in Kenia trainieren? Eine seltsame Idee, denn da gehört Überforderung zum Programm.

Bild: taz

Dieter Baumann (42) ist mehrfacher Olympiasieger in verschiedenen Laufdisziplinen, arbeitet als Motivationstrainer und Autor. Er träumt davon, ein "Lebensläufer" zu sein, für den der Weg immer wichtiger bleibt als das Ziel.

Vor wenigen Tagen kam die Meldung, dass der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Thomas Bach, mit dem Kollegen vom Nationalen Olympischen Komitee (NOK), Kipchoge Keino aus Kenia, eine Kooperation geschlossen hat. Zum ersten Mal in der Geschichte findet Entwicklungshilfe in umgekehrter Richtung statt. Das Trainingscenter auf dem Grundstück des kenianischen NOK-Chefs in Eldoret soll deutschen Nachwuchsläufern wieder auf die Beine helfen. Ein gewagter Vorstoß des DOSB, vor allem: Die Läufer aus Deutschland wissen von nichts.

Kenia, das Land der Läufer. Zehn Jahre lang trainierte ich jeden Winter dort gemeinsam mit kenianischen Läufern. Natürlich nicht jede Laufeinheit. Fünfmal pro Woche, das war in den Höhenlagen von Afrika das Maximum. Morgens um sechs Uhr war das erste Training. Es war stockdunkel und kalt. Ich wartete kurz vor Trainingsbeginn am Eingang ihres Camps. Camp ist deshalb der richtige Ausdruck, weil Weltklasseläufer in Kenia meist im Militär groß werden und dort ihre Trainingslager in Zelten und unter einfachsten Bedingungen absolvieren. In der Dunkelheit hörte ich die Reißverschlüsse der Zelte, die aufgezogen wurden, dann kamen, zunächst vereinzelt, die Läufer zum Eingang, bis nach wenigen Minuten über 60 Läufer zum Training bereitstanden. Zum Schluss trat der Meister selbst auf den Plan, Hindernisweltmeister Moses Kiptanui. Trainer und Läufer in Personalunion. Begleitet wurde er von seinem Trainerassistenten Jimmy Beauttah. Beide gingen langsam auf die wartenden Läufer zu, dann erhob Jimmy leise das Wort: "Gentlemen, dear friend from Germany. The menue today: one hour pole, pole." Dieses immergleiche Ritual vollzog sich jeden Morgen. "Pole, pole" bedeutet so viel wie "langsam, langsam". Es gab weder einen Plan der Woche noch des Monats. "Training mit Überraschungen" könnte man es umschreiben, und tatsächlich war ich als Gast vor Überraschungen nicht gefeit. An die Order "pole, pole", beispielsweise hielt sich schon nach 30 Minuten keiner mehr. In Erinnerung blieb mir ein sehr langer Dauerlauf. "Hast du gemerkt?", meinte Moses Kiptanui hinterher voller Stolz: "Ich habe die Jungs eine Stunde lang gebremst." "Aber dann," sagte er voller Resignation, "waren sie nicht mehr zu halten." Um es mit anderen Worten zu formulieren: Bei dieser Trainingseinheit lief ich um mein Leben. Die letzten 30 Minuten waren wie ein Wettkampf, volle Kiste eben. Das Ganze auf 2.500 Meter Höhe, 28 Kilometer in 1 Stunde und 40 Minuten. "Pole, pole". So viel dazu.

Tempoläufe, langer Lauf, Sprint, noch dazu am steilen Berg. Alles wird innerhalb einer Einheit oder auch hintereinander trainiert. Mit Pause oder auch ohne. Mal gibt es Ruhetag, mal wird dreimal pro Tag gelaufen. Alles folgt eigenen Gesetzen, und das einzige erkennbare Prinzip ist die harte Auslese. Wer das übersteht, der läuft Weltrekord. Als Europäer gilt es, sich darauf einzulassen - oder erst gar nicht nach Afrika zu reisen. Um jede Euphorie ob der oben zitierten Meldung zu vermeiden: Als ich zum ersten Mal den afrikanischen Kontinent betrat, lagen schon zwei Medaillen in meinem Schrank. Es fehlt mir also nicht an Erfahrung. Völlig unklar an dieser Kooperation ist im Moment, wer davon profitieren soll? Die jungen deutschen Nachwuchsathleten? Ist es Segen oder Strafe für sie, in ein Umfeld zu geraten, von dem auszugehen ist, dass es sie überfordert? Jimmy wird am Morgen vor die Hütte treten und sagen: "The menue today: pole, pole."

Seit Jahren werden die Langstreckenläufer in Deutschland gering geschätzt. Trainingslager im Ausland müssen sie selbst zahlen. Hauptamtliche Trainerstellen werden nicht mehr besetzt. Anstatt undurchsichtige Kooperationen anzustreben, täte der DOSB-Präsident gut daran, jungen Nachwuchsathleten vor Ort und zu Hause eine vernünftige Betreuung zu gewährleisten. Doch Nachwuchsathleten und deren Trainer dürfen bei IOC-Wahlen nicht abstimmen. Dies machen die NOK-Bosse untereinander aus. Wenn die Kooperationen stimmen.

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