Kolumne Laufen: Wenn die Afrikaner davonlaufen
Was tun, wenn man draußen wegen der Glätte eigentlich nicht mehr joggen kann? Einfach losrennen.
G ab es in der Vergangenheit je Schnee im Januar? Oder gar einen Winter? Seit die Wettervorhersagen zum Event ausgerufen wurden, könnte man glauben, dass die jetzige Witterung die Sensation schlechthin ist. Doch als Läufer kann ich mich an jede einzelne Schneeflocke erinnern, die in den letzten 30 Jahren vom Himmel segelte. Deshalb behaupte ich einfach einmal: Auch damals gab es Blitzeis, hartnäckigen Frost (über mehrere Monate!) und viel Schnee.
In Erinnerung sind mir Dauerläufe, die nicht mehr auf festgelegten Waldwegen stattfanden, weil der viele Schnee die Wege einfach zugedeckt hatte und diese nicht mehr zu erkennen waren. Ich lief schnurgerade über die Albhochfläche auf einer geschlossenen Schneedecke. Natürlich war ich über solche Bedingungen nicht erfreut, natürlich rutschte ich bei jedem zweiten Schritt weg und ich lief viel langsamer und mit viel Kraftaufwand. Doch noch heute bin ich davon überzeugt, dass dies das perfekte Ausdauertraining ist.
Genauso wie Skilanglauf. Das gehörte damals, als der Winter noch kein Event war, zur Grundausbildung eines jeden Postboten. Gut, das ist jetzt ein wenig übertrieben, doch die Geschichte des damaligen 800-Meter-Läufers Herbert Wursthorn stimmt trotzdem. Monatelang war Laufen im Wald und auf der Alb schwierig, und deshalb schnallte sich Wursthorn für die Ausdauereinheiten Skilanglaufbretter an die Füße, dann fuhr er nach Grenoble und wurde Halleneuropameister über 800 Meter. Die Fachwelt war völlig perplex. Damals diskutierten sie darüber, dass nur noch mit speziellen Leichtathletikhallen der Anschluss an die Weltspitze gehalten werden kann. Und dann kommt der Herbert Wursthorn von der Alb, macht hin und wieder Lauf ABC, trainiert den Rest auf Ski und holt eine Medaille.
Dieter Baumann (42) ist mehrfacher Olympiasieger in verschiedenen Laufdisziplinen, arbeitet als Motivationstrainer und Autor. Er träumt davon, ein "Lebensläufer" zu sein, für den der Weg immer wichtiger bleibt als das Ziel.
Herbert hin, Wursthorn her, klar wurden seither viele Hallen für bessere Trainingsbedingungen gebaut. Für eine Sportart ist dies auch sinnvoll, doch den Anschluss an die Weltklasse konnten wir dennoch nicht halten. Heute ist ein Veranstalter schon froh, er bekommt überhaupt einen deutschen Läufer ins Starterfeld. Es gibt einfach zu wenig deutsche Läufer. Vorneweg laufen ohnehin die Afrikaner.
Warum sind die nur so gut? Weil sie keinen Winter haben, ließ ich mir beim Hallenmeeting in Stuttgart von Experten sagen. Das milde Klima Afrikas und natürlich die Höhenlage. Dieser "Jahrhundertwinter", sagen unsere Athleten, ist einfach zu hart. Gab es früher, als es noch mehr Läufer in Deutschland gab, keinen Winter? Kam der Klimawandel ganz anders als wir immer dachten? War Herbert Wursthorn nur Einbildung? Und was heißt: kein Laufschritt möglich?
Die Lokalkicker in Tübingen klagten in diesem Winter auch über zu viel Schnee. Der Fußballplatz war und ist unbespielbar. Und was machen die Herren in Kickstiefeln? Sie laufen, jawohl! Fahrtspiele, Intervallläufe, sie laufen Treppen hoch und wieder runter, sie laufen zickzack - bis zum Abwinken. In Fußballkreisen geht die Angst um, bald Leichtathleten zu sein. Diese Angst ist natürlich völlig unbegründet, zeigt aber, dass im Zweifel immer noch eines geht: laufen.
Auch Skilanglauf Ass Ole Einar Björndalen läuft. Meist am Abend nach getanem Tageswerk auf Skiern. Dann läuft der Norweger locker und leicht bis zu 20 Kilometer im Schnee. Es ist ein furchtbar harter Winter in diesem Jahr. In ganz Deutschland geht das Streusalz aus, die Wege sind unbegehbar. "Laufen ist nicht mehr möglich", sagte mir ein deutscher Läufer. "Ich bin nur noch auf dem Laufband." Nun gut, dann warten wir eben auf einen schönen Sommer. Irgendwann muss der ja kommen.
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