Kolumne Landmänner: Für mehr Sicherheit und Sauberkeit

Wenn es in Ackerbürgerstadt einen Weihnachtsmarkt gäbe - wir gingen nicht hin. Viel zu gefährlich. Statt dessen jagen wir im Garten unsere eigenen Gepäckbehältnisse in die Luft.

Über allen Wipfeln ist Ruh? Von wegen, Weihnachtsmärkte sind derzeit vermintes Pflaster. Bild: dapd

An dieser Stelle weiterzulesen ist völlig ungefährlich, denn diese Zeilen sind in einem Panic-Room verfasst. Es handelt sich um die Dachkammer unseres Häuschens. Von hier aus kann man über die Dächer Ackerbürgerstadts blicken und den Scharfschützen der GSG 9 zuwinken, die sich auf dem Kirchturm verschanzt haben.

Zuvor hat mein Mann sämtliche Türen des Hauses zwei- bis dreimal verriegelt. Zusätzlich habe ich die Bodenklappe geschlossen und eine schwere Truhe aus abendländischem Eichenholz, das sich gut zur Herstellung von Särgen und Kruzifixen eignet, über sie geschoben. Hier kommt niemand hinauf, schon gar nicht mit Gepäck unbekannten Inhalts.

Es kann wirklich nichts mehr passieren. Wir haben eine neue Firewall um unser drahtloses Netzwerk gezogen. Unsere Datenvorratspeicher sind bis an die Oberkante der Festplatte gefüllt. In tönernen Krügen lagert Mehl und Zucker, sauer Kraut ruht in Gläsern und süßes Obst in Konserven. Das Auto wurde mit regelkonformen Allwetterreifen ausgerüstet und ist vollgetankt mit leider explosiver Flüssigkeit.

Ich habe mir neue Schnürsenkel gekauft, weil mir die alten nicht nachhaltig erschienen und es ein schlechter Treppenwitz wäre, würde einem ausgerechnet ein offener Schuh das Genick brechen in solchen Zeiten der Bedrohung.

Wir haben Lebensversicherungen abgeschlossen, irische Butter gekauft und griechischen Wein, weil Kapitalismus ja auch viel mit Psychologie zu tun hat. Die Barschaft lagert im Kopfkissen, mit Naphtalin versetzt, der Motten wegen. Die Katzen haben wir prophylaktisch mit Antibiotika vollgepumpt, auf unserer Haut tragen wir einen Schutzschild mit Lichtschutzfaktor 30. Geraucht wird nur noch mit Aktivkohlefilter-Spitze, Anrufe werden auschließlich mit unterdrückter Rufnummer getätigt.

Ausflüge, Bahn-, Bus- und Aeroplanreisen sind abgesagt. Dank gezielten Einkaufs in einem Fachgeschäft für gleichgeschlechtliche Lebensweisen konnte die Wandstärke der Präservative verdoppelt werden. Sekt kommt nicht mehr ins Haus, der knallenden Korken wegen. Ich habe einen Termin zur Zahnreinigung gemacht und das Badezimmer mit Fungiziden eingesprüht.

Der Luftraum über unserem Haus ist gesperrt, der Gashahn zugedreht. Die Profile in sämtlichen Internetcommunitys sind gelöscht, sowieso alle Spuren verwischt. Sogar unsere eigenen Gepäckbehältnisse haben wir im Garten in die Luft gejagt. Doch nun klopft es an der Tür.

Nicht leise und auch nicht zaghaft. Im Gegenteil höre ich das Wummern bis in den dritten Stock. Mein Mann schläft - Ruhe ist erste Bürgerpflicht - zugedröhnt mit Beruhigungsmitteln in der eichenen Kiste, die ich über die bloß kieferne Bodenklappe geschoben habe. Mit klopfendem Herzen schiebe ich die Kiste zur Seite und öffne vorsichtig die Klappe. Langsam schreite ich die Treppe hinab. Wer mag das sein dort unten? Die Bundeswehr im Inneren? Der Sensemann? Die Gleichstellungsbeauftragte des Landes Brandenburg? McKinsey?

Nachdem ich die Sandsäcke zur Seite gewuchtet und den Schlüssel dreimal umgedreht hatte, erblickte ich das Gesicht der geliebten Schwiegermutter: "Kinder, heute ist der 1. Advent! Wollnwa nich zum Weihnachtsmarkt?" Gegen eine asymmetrische Bedrohungslage ist man eben letztendlich machtlos.

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* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

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