Kolumne Kulturbeutel: Schaurige Geschichtenerzähler
Sportmärchen gibt es viele – die von Ödön von Horvath zum Beispiel. Die deutschen Sportführer fabulieren dagegen wahren Stuss zusammen.
D as hätten wir schon gerne gewusst, wie das Spiel zwischen Haidhausen und Belutschistan ausgegangen ist. Oder das zwischen Neukölln und Liberia. Aber in dem Sportmärchen, das Ödön von Horváth in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts verfasst hat, ist das Ergebnis nicht so wichtig.
Es geht um den armen, kleinen Hansl, der nichts so sehr liebte wie Fußball. Bis in die kalten Novembertage hinein legte er sich bäuchlings hinter eines der Tore und schaute den Sportsmännern bei ihrem Tun zu. Kalt und nass war es, und so wurde der Bub krank, so krank, dass das Licht des Lebens erlosch.
Als es wieder hell wurde um ihn, sah er „eine große Wolke, deren Oberfläche ein einziger herrlich angelegter Fußballplatz war“, und ein Engel erklärte ihm, dass dort nun die besten der seligen Fußballer gegeneinander spielen würden – lauter Engel.
Der eine oder andere flog dem Ball einfach hinterher, wenn es ihm gefiel. „Doch da pfiff der Schiedsrichter (ein Erzengel) sogleich ab: wegen unfairer Kampfesweise.“ Eine Lehre aus dieser Geschichte ist also, dass auch die Engel im Himmel beim Kicken nicht ohne Unparteiischen auskommen. Was für ein Fußballmärchen.
Das Märchen vom Sommermärchen
Aber es ist eben nur ein Märchen und jeder weiß, dass es so etwas im wahren Leben ebenso wenig gibt wie im wahren Tod. Und doch gibt es im Menschen wohl den innigen Wunsch, dass ein Märchen einmal wahr werden möge. So kam es, dass das Sommermärchen, das im Jahr 2006 in diesem Lande überliefert worden ist, bis heute von manchen für bare Münze genommen wird, ganz so, als habe sich der Fußballhimmel für vier Wochen auf Deutschland herabgesenkt.
Und obwohl man so manchen Erzengel jenes Märchens als gefallen bezeichnen muss, den Franz, den Wolfgang und den Sepp sowieso, ist ein Satz immer wieder zu hören: Wir lassen uns das Sommermärchen nicht nehmen. Der Reinhard ist einer, der immer noch an dieses Märchen glaubt. Er ist seit noch nicht allzu langer Zeit so etwas wie ein irdischer Erzengel des Fußballs in Deutschland.
Ist er auch ein Märchenonkel? Er selbst würde das wohl vehement bestreiten. Denn ein Märchenonkel hat ja nicht den besten Ruf. Er ist einer, der etwas erzählt, was man nicht glauben sollte, im schlimmsten Fall einer, der Schauermärchen verbreitet. Und weil der Reinhard immer noch erzählt, in Deutschland sei 2006 ein Märchen wahr geworden, und nicht wahrhaben will, dass man ganz einfach eine Fußball-WM gekauft hat, kann es gut sein, dass er als Schauermärchenonkel des deutschen Sports in die Geschichte eingehen wird.
Goldmarie Alfons
Derer gibt es mehrere. Eine dieser schauerlichen Figuren heißt Alfons und trägt einen Nachnamen, der an Garagentore erinnert, obwohl er eigentlich aus der Dachziegelbranche kommt. Er sieht sich in seinen Träumen als Goldmarie des deutschen Sports. Dessen Chef ist er schon jetzt und als solcher möchte er, dass schon bald ganz viele olympische Goldmedaillen auf das deutsche Team herabregnen.
Ganz viel möchte er umbauen im deutschen Sport und was ihm nicht goldig genug erscheint, das will er abbauen. Und alle haben sich die Augen gerieben, als er erzählt hat, dass fast alle Sportler gut finden, was er da tut. Heute weiß man, dass es eine Märchenstunde war, die Alfons in einem Saal in Berlin abgehalten hat, in dem die Herrscher dieses Landes der Presse verkündeten, was sie entschieden haben.
Da bleiben wir lieber bei den Sportmärchen von Ödön von Horváth, beim heiligen Franz als Skifahrer, bei Hochsprung und Weitsprung, die sich seit je spinnefeind sind, beim artigen und unartigen Ringkämpfer. Merkwürdige Geschichten sind das bisweilen, aber auf jeden Fall besser als alles, was Reinhard oder Alfons uns je erzählen werden.
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