Kolumne Kulturbeutel: Kunstwerke auf Rädern
Die Rennrad-Geometrie hat sich seit Jahrzehnten kaum geändert. Stromlinienoptimierte Sonderanfertigungen sind Geschichte – und Kunstobjekte.
Früher liefen die Bremskabel noch in geschwungenen Linien hoch über dem Lenker. Die Fahrer banden sich Ersatzschläuche wie einen Rucksackverband über Brust und Rücken. Und die Rahmen bestanden meist aus schmalen stählernen Rohren. Ein Rennrad sah aus, wie ein Rennrad eben aussieht. Irgendwie ist das bis heute so, auch wenn andere Materialien eingesetzt werden, die Rohre bisweilen arg fett daherkommen und die Felgen wie aufgeblasen wirken. Die Geometrie der Rennräder hat sich über die Dekaden kaum geändert.
Heutzutage sehen sogar die Zeitfahrmaschinen aus wie Rennräder. Das Reglement sieht vor, dass Räder, die in Rennen benutzt werden, ungefähr so aussehen müssen wie Räder, die man im Laden kaufen kann. Die irrwitzigen Sonderanfertigungen, mit denen der schottische Tüftler Graeme Obree oder Miguel Indurain, der spanische Tour-de-France-Dauersieger der 90er Jahre, Stundenweltrekorde auf der Bahn aufgestellt haben, dürfen nicht mehr verwendet werden. Die Zeiten, die mit den stromlinienoptimierten Rennern aufgestellt wurden, sind aus den Bestenlisten gestrichen worden.
Die Renner selbst sind zu Kultgegenständen geworden, zu Studienobjekten von Designjüngern, zu Kunst. Als Mitte Mai im noblem Wiener Auktionshaus Dorotheum die Fahrradsammlung des Wiener Designers und Architekten Michael Embacher versteigert wurde, sind die Räder bewundert worden wie die Schöpfungen der größten Maler in der Menschheitsgeschichte.
Ein oranges Klapprad aus dem Hause Duemila von 1968, dessen götterbotentauglich geformter Kettenschutz besonders auffällig daherkommt, hat für über 1.000 Euro den Besitzer gewechselt. Ein 8,3 Kilo leichter Alu-Renner aus dem Jahre 1937, dem in Berlin jeder Connaisseur absolute Hipstertauglichkeit attestieren würde, ist für über 8.000 Euro ersteigert worden.
Und eine Replik jener viel besungenen Zeitfahrmaschine, mit der der Italiener Franceso Moser 1984 satte 51,151 Kilometer in 60 Minuten gefahren ist und damit einen damals fabelhaften Stundenweltrekord aufgestellt hat, war jemand 18.750 Euro wert. Der Altmeister persönlich hat das Rad signiert, was den Wert wohl mehr erhöht hat als das Vorleben des Gefährts.
Lasergesinterter Lenker
Das hatte sich ein österreichischer Rennradler anfertigen lassen, wahrscheinlich um mal ganz nach oben in die Radsportwelt aufzusteigen. Gelungen ist dies jenem Mann namens Bernhard Rassinger indes nicht. Der Titel des österreichischen Staatsmeisters von 1985 ist sein einziger großer Erfolg geblieben – und den hat er auf einem gewöhnlichen Rennrad errungen. Das elegante Moser-Bike mit den vollverkleideten Laufrädern und dem riesigen Hinterrad kaufte er sich erst danach. Heute kann er immerhin von sich sagen, dass er einmal ein Kunstwerk besessen hat.
Ob das Rad, mit dem der britische Superradler Bradley Wiggins vor ein paar Wochen einen neuen Stundenweltrekord aufgestellt (54.526 Kilometer) hat, jemals als Kunstwerk in die Designgeschichte eingehen wird, ist ungewiss. Zumindest der Rahmen entspricht dem Reglement und ist allein deshalb relativ uninteressant. Spannender wird es da schon, wenn man sich den Lenker betrachtet. Der ist speziell für Wiggins ausgedruckt worden. Ein lasergesintertes Teil ist dieser Lenker – persönlich angepasst an die ergonomischen Bedürfnisse von Bradley Wiggins.
So geht’s nicht, sagt da Alex Dowsett, der Engländer, dessen bis dato bestehenden Stundenweltrekord Wiggins gebrochen hat. Und irgendwie hat er ja recht. In welchem Fahrradladen kann man sich schon einen Lenker ausdrucken lassen – noch dazu im selektiven Lasersinterverfahren? Eines jedoch steht fest: Zumindest dieses elegante Etwas mit den flügelgleichen Auflageflächen für die Unterarme hat das Zeug zum Kunstwerk.
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