Kolumne Konservativ: Die Toten Hosenanzüge
„Herzlich willkommen am Tiefpunkt der Bandgeschichte“? Die Toten Hosen wollen nicht, dass die CDU ihre Lieder singt? Das ist doch nur konsequent.
D as hatte die CDU nun wirklich nicht verdient. Gerade noch feierten die selbst erklärten Konservativen ihren Sieg bei der Bundestagswahl. Die Stimmung im Konrad-Adenauer-Haus war ausgelassen – oder was CDUler für ausgelassen halten.
Auf dem Podium stehend, mühte sich die halbe Parteiführung um seriöse Fröhlichkeit: Merkel, von der Leyen, Gröhe, Pofalla, Laschet. Dann geschah, wie bei der FDP, zuvor Undenkbares: Volker Kauder zwang sich, „Tage wie diese“ von den Toten Hosen anzustimmen. Was haben sich die Toten Hosen beim Komponieren bloß gedacht?
Na gut, die Antwort lautet wahrscheinlich: nichts. Auf der Facebook-Seite der Band hinterließen Fans wütende Kommentare wie „Herzlich willkommen am Tiefpunkt der Bandgeschichte!“. Das ist natürlich arg übertrieben. Die Band-Geschichte bietet ja viele Tiefpunkte.
„Tage wie diese“ ist eine Art „Über den Wolken“ mit E-Gitarre. Konsequenterweise singen den Schlager auch Helene Fischer und Die Partygeier (“Die Vögelein vom Titicacasee“). Da war es nur eine Frage der Zeit, bis die CDU sich zwingt, die Düsseldorfer zu vereinnahmen. Die Toten Hosen sind die idealen Durchschnittsdeutschen.
Die selbst erklärten Punk-Rocker vereinen die unangenehmsten Seiten der großen deutschen Sozialmilieus: die Bierseligkeit des Stammtischs (“Eisgekühlter Bommerlunder“, „Zehn kleine Jägermeister“), das säuerliche Moralisieren der Linken (“Sascha... ein aufrechter Deutscher“, „Kauf MICH!“) und die sentimentale Idealisierung des „wahren“ Lebens durch den nivellierten Mittelstand (“Freunde“).
No future
Die Toten Hosen sind die CDU der deutschen Musikindustrie. Die Union lässt zu, dass man sie mit Konservativen verwechselt. Die Toten Hosen lassen zu, dass man sie mit Punks verwechselt. Was Punk ist, dafür gibt es so viele Definitionen wie Unions-Mitglieder. Meine Privatdefinition: Punk ist ein Ausbruch von Energie, ein zielloses Dagegensein, ein stolzes, aber auch blindes Nein, die reflexhafte Ablehnung aller äußeren Anforderungen und Angebote. No future, und die Gegenwart kann mich auch mal.
So gesehen, sind die Toten Hosen das Gegenteil von Punk. Im Pressetext zur Volker Kauder-Single „Tage wie diese“ lässt sich Sänger Campino so zitieren: „Das Lied ist auch unsere Reaktion auf diese ganze Nostalgie, die einem am Vorabend von so einem Jubiläum wie unserem 30jährigen Geburtstag entgegen schlägt. Wir waren immer eine Band, die in der Gegenwart lebt und nach vorne blickt.“
Campino lebt also im Moment, zugleich guckt er aber nach vorn und zurück auf die eigene Geschichte. Das muss man erst mal sagen, ohne über sich selbst zu lachen. Für Campino kein Problem, denn er hat keinen Humor, er lacht nur gern laut.
Die Hosen-Dreifaltigkeit ähnelt Angela Merkels Satz: „Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial – und das macht die CDU aus.“ Passt scho‘.
„Unanständig und unkorrekt“
Die Union nutzt „Tage wie diese“ seit seinem Erscheinen 2012 auf ihren Veranstaltungen. Die Band ließ dazu verlauten: „Wir haben nie ein Problem damit gehabt, wenn unser Lied vom Punkschuppen bis zum Oktoberfest den unterschiedlichsten Menschen Freude bereitet. Wir empfinden es aber als unanständig und unkorrekt, dass unsere Musik auf politischen Wahlkampfveranstaltungen läuft.“
Besonders wichtig sind den Toten Hosen also Anstand und Korrektheit. So gesehen, ist Punk konservativ. Dann war das CDU-Karaoke am Wahlabend bloß konsequent.
Als Kauder „Tage wie diese“ sang, da stand die Kanzlerin neben ihm. Sie klatschte anständig und korrekt in die Hände. Aber man konnte sehen, dass Campino und Merkel doch etwas unterscheidet. Sie wäre so gern von der Bühne gegangen.
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