piwik no script img

Kolumne KonservativAlt sein werden wir lange genug

Matthias Lohre
Kolumne
von Matthias Lohre

Je älter, desto konservativer, so lautet eine gängige Faustregel. Aber ab wann genau ist man alt? Etwa schon mit 40?

Alt gleich konservativ? Fred Beringer ist 70, nennt sich „Brave Eagle“, ist Sohn einer Cheyenne-Mutter und braut nahe Augsburg sein eigenes Bier. Bild: reuters

W inston Churchill soll gesagt haben: „Ist ein Mann mit 20 Jahren kein Kommunist, hat er kein Herz. Ist er mit 40 nicht konservativ, hat er kein Hirn.“ Ich werde recht bald 40.

Also frage ich mich: Was bedeutet es, jung zu sein? Und wie wird man konservativ? Der Reihe nach: Mit 20 Jahren war ich kein Kommunist. Niemand, den ich kannte, bezeichnete sich als Kommunist. Wahrscheinlich kannte gar niemand, den ich damals kannte, einen Kommunisten. Das kann ich erklären.

Vielleicht zählen Sie zu den Hunderttausenden, die im Internet den Wahlwerbespot der CDU Ahaus zur Europa- und Kommunalwahl gesehen haben. Darin zieht ein mimisch reduzierter Bauer im grauen Kittel eine gutmütige Kuh durch eine Kleinstadt. Die Kuh rettet, ohne es zu merken, einen Jungen aus knöchelhohem Wasser und stoppt zwei Bankräuber, als diese sich in ihren Hörnern verfangen. Menschen danken es der Kuh, indem sie rufen: „Danke, CDU!“

Bundesweit war das Gelächter groß. Mit 20 hätte ich das nicht verstanden. Ahaus liegt im Münsterland. Ich stamme aus dem Münsterland. So viel zum Thema Kommunismus.

40 ist das neue 20

Theoder Fontane soll gesagt haben: „Wer mit 19 kein Revolutionär ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch ein Revolutionär ist, hat keinen Verstand."

„40“ steht dabei für gestandenes Mannesalter. Doch die Lebenserwartung der Deutschen war zu Fontanes Zeit im 19. Jahrhundert weit niedriger als heute. Heute gilt: „40 ist das neue 20“. Sagt die US-Fernsehserie „Cougar Town“. Ist also, wer 40 wird, heute noch jung? Und wann dürfen, ja sollen Menschen dann konservativ werden?

Die Antwort weiß das Statistische Bundesamt. Stand Juni 2013 war hierzulande noch derjenige jung, der noch nicht 45,7 Jahre alt ist. Das ist der Altersmedian. Dieser besagt: 50 Prozent der Menschen in Deutschland sind jünger als 45,7 Jahre, 50 Prozent älter.

Ich bin nicht stolz, Deutscher zu sein, schließlich ist das weder eine persönliche Leistung, noch gelte ich hierzulande als alt. Mir fehlt also noch die Berechtigung, konservativ zu sein. Aber mit Blick auf den Altersmedian bin ich über den Umstand, Deutscher zu sein, nicht unglücklich. In Russland liegt der Median übrigens bei 38,8 Jahren. Womöglich werde ich also, während ich diese Zeilen schreibe oder Sie sie lesen, in Russland alt.

Skater mit grauen Haaren

Georges Clemenceau soll gesagt haben: „Wer mit 16 Jahren kein Anarchist war, ist ein Idiot. Aber wer es mit 40 noch ist, ist es auch.“

Viel wird geklagt über die Verlängerung der Adoleszenz bis in die Dreißiger: Skater mit grauen Haaren, Mütter mit Pippi-Langstrumpf-Zöpfen. Das zeugt angeblich vom Unwillen, Verantwortung zu übernehmen, Begrenzungen anzuerkennen. Aber betrachtet man die verlängerte Lebensdauer, erscheint mir das weniger infantil als logisch. Wenn das Leben länger dauert, ist man auch länger jung. Alt sein werden wir lang genug.

Ein kluger Mann hat gesagt: „Alt werden ist wie konservativ werden. Beides ist weder Zeichen von Stärke oder Schwäche. Es ist ein Prozess.“ Der Satz stammt, glaube ich, von mir.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Matthias Lohre
Schriftsteller & Buchautor
Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Lieber Herr Lohre, um "bewahren zu wollen", also konservativ zu sein, muss man wahrscheinlich erst einmal Besitztümer, Pfründe und Positionen erreichen. Hat man all dies nicht, so will man nach Veränderungen streben. Hat man hingegen all dies, so will der Mensch bewahren, was er erreicht hat.

     

    Das ist verständlich und sollte nicht verurteilt werden. Allerdings sollte man wissen, dass der Konservative in seiner Argumentation stets von einem Egoismus geleitet ist und die Dinge selten aus einer neutralen Ecke betrachtet.

  • Ich glaube um nicht konservativ zu werden, muss man an das Gute im Menschen glauben.

     

    Doch je älter man wird, desto mehr Schlechtes sieht man, desto ängstlicher wird man.

    Irgendwann will man dann Sicherheit und seine Ruhe. Egal zu welchem Preis.

     

    Man könnte sagen, Konservative schaffen sich selbst ihren Nachwuchs.

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    "Wer mit 40 immer noch nicht für eine vernünftige und sozial gerechtere Umverteilung ist, ist entweder vermögend oder dumm."

    Thomas Piketty?

  • "Ich bin nicht stolz, Deutscher zu sein, schließlich ist das weder eine persönliche Leistung, noch gelte ich hierzulande als alt."

    Das ist leider das Dilemma in diesem Land. Wer sich nicht auf seine Wurzeln besinnt hat nichts für das er sich einsetzen möchte. Warum soll er etwas für ein Land geben das er nicht mag? Schaut man auf andere Länder Japan, China; Korea überall werden die Ahnen geehrt. Man kann doch nicht Deutschland auf den furchtbaren Weltkrieg reduzieren.

    Woran sollen sich unsere Zuwanderer und Neubürger orientieren, wenn wir ihnen es nicht vorleben?

    Konservativ muß nichts schlechtes sein., in meinen Augen heißt das Neues auf zu bauen und zu entwickeln auf der Basis des bewährten weiter zu entwickeln.

    • @Leserin1:

      Hä? Das ist doch Quatsch. Nur weil mich "mein Land" nicht interessiert heißt das doch nicht, dass ich mich für nichts einsetzen möchte. Meine Beweggründe sind viel komplexer. Vielleicht will ich etwas für die Menschen um mich herum tun oder einfach helfen. Ich finde es arm, wenn der einzige Grund für den mensch etwas tut das eigene Land ist. Du gehst hier von einer Annahme aus die so überhaupt nicht stimmt.

      Warum soll ich denn rückwärts gewandt auf meine Ahnen gucken? Oder auf das Land in dem ich durch Zufall geboren wurde? Es gibt doch viel schönere Beweggründe.