Kolumne Knapp überm Boulevard: Auch so kann Liberalismus aussehen
In den USA und Österreich machen sich Menschen für restriktive Gesetze stark. Eigenverantwortung und Verbot sind keine Gegensätze mehr.
L etzten Samstag gingen in den USA mehr als eine Million Menschen auf die Straße. Nach dem Amoklauf an einer High School in Florida fanden Kundgebungen im ganzen Land statt. Unter dem Motto „March for our lives“ forderten sie schärfere Waffengesetze, damit so etwas „Nie wieder“ geschehe. Allein in Washington waren Hunderttausende dabei, als die High-School-Schülerin Emma Gonzalez bei 6 Minuten und 20 Sekunden – exakt die Dauer des Amoklaufs – ihr minutenlanges Schweigen brach. Zuvor hatte sie nach der Verlesung der 17 Toten unter Tränen kein Wort mehr gesagt. In Österreich hat die rechte Regierung angekündigt, das absolute Rauchverbot in der Gastronomie zu kippen – also das Rauchen in Lokalen wieder zu genehmigen.
Die Ärztekammer Wien (jetzt nicht gerade der Inbegriff einer Graswurzelbewegung) hat daraufhin unter dem Titel „Don’t smoke“ ein Volksbegehren gestartet, um gegen die Aufhebung des Verbots zu protestieren. Innerhalb kürzester Zeit haben mehr als eine halbe Million Menschen unterschrieben. Es mag absurd erscheinen, diese beiden Ereignisse in einem Atemzug zu nennen. Nicht absurd ist aber, was sie verbindet.
Zum einen handelt es sich in beiden Fällen um Einsprüche gegen Rechtspopulisten, die an der Macht sind. Zum anderen aber haben diese Einsprüche eine besondere, neue Form. Dass sie aus der Zivilgesellschaft heraus formuliert werden, ist nicht das Novum daran. Das Besondere aber ist, was hier formuliert wird: Forderungen nach einem Gesetz. Die Forderung nach einer Verschärfung der laxen Waffengesetze in den USA. Und die Forderung nach der Beibehaltung einer strikten Antiraucherverordnung.
Hier ergeht der Ruf nach Schutz gegen eine Politik, die diesen Schutz eben nicht gewährt. Eine Politik, die als Law-and-Order Politik angetreten ist und die die Körper, das Leben, eben nicht schützt. So müssen die Menschen diesen Schutz selbst in die Hand nehmen und Gesetze von ihren Law-and-Order-Politikern einfordern. Seitens der Zivilgesellschaft formuliert und artikuliert, bricht sich ein Ruf nach Regulierung Bahn. Ein Ruf nach staatlicher Regulierung – als Einspruch gegen die Deregulierungen der Regierung! Ein Ruf nach Gesetzen – als Einspruch gegen die Populisten.
Das ist nicht nur großartig. Das ist auch ein unerwartetes Vorgehen. Denn das wirbelt die Kategorien durcheinander. Bisher hieß Zivilgesellschaft: Hier wird der selbstständige Bürger, der eigenverantwortlich sein Leben bestimmt, in Stellung gebracht gegen eine staatliche Bevormundung. Das war die Anordnung des Liberalismus. Hier der Einzelne, dessen Freiheit gegen die Zumutungen behauptet, gegen die Zugriffe des Staates geschützt werden muss. Dieser Einzelne, der sich nur frei von Eingriffen des Staates entfalten kann. Und entgegen der Annahme, dass Rechtspopulisten und Liberalismus einfach ein Gegensatz wäre, berufen sich etwa die österreichischen Freiheitlichen auch auf die Freiheit und deren Verteidigung. Anders gesagt, es sind Rechtspopulisten, die sich als Schutzmacht der Freiheit gerieren – nicht aber als Schutzmacht der liberalen Gesellschaft.
Jetzt wird dies sowohl in den USA als auch in Österreich nun gegen sie ins Treffen geführt. Mehr noch: Hier wird der Gegensatz verkehrt! Die Leute mobilisieren sich, setzen sich in Bewegung, gehen auf die Straße. Sie versammeln sich und ihre Unterschriften, um sich für ein Verbot starkzumachen. Sie fordern selbstbestimmt staatliche Vorschriften. Sie nehmen sich die Freiheit, nach gesetzlichen Regulierungen zu rufen! Eigenverantwortung und Verbot sind da keine Gegensätze mehr. Man demonstriert nicht allgemein gegen die Regierung, sondern für konkrete Gesetze. Man stärkt den Rechtsstaat gegen die Regierung. In populistischen Zeiten muss man feststellen: Auch so kann Liberalismus ausschauen.
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