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Kolumne Im AugenblickMeinungsfreiheit nach Kassenlage

Kolumne
von Ismail Ismail

Ich dachte, Deutschland wäre das Land, wo Mensch seine Meinung frei äußern könnte. Mensch kann das tun. Aber nur, wenn es zu den Interessen der Bundesrepublik passt.

Solidarität mit der YPG zu zeigen, ist hierzulande schwierig. Das könnte daran liegen, dass sich die Beziehungen zwischen Merkel und Yildirim verbessert haben Foto: dpa

E ine kurdische Redewendung lautet: Wer nicht im Hause ist, weiß nicht, was drin passiert. Ich war eben nicht im Haus und dachte, Deutschland wäre das Land, wo Mensch seine Meinung frei äußern könnte. Mensch kann das tun. Aber nur, wenn es zu den Interessen der Bundesrepublik passt. Zum Beispiel die Fahnen der AKP. Die dürfen problemlos in Deutschland gezeigt werden, und ebenso die Fahnen und Symbole der nationalistischen Grauen Wölfe.

Es mag absurd klingen, doch die Nationalisten treiben genau das, was der verbotenen kurdischen Partei PKK seit über 20 Jahren vorgeworfen wird und wodurch diese auf die Terrorliste gesetzt wurde. Unter der Regierung der AKP sind Dutzende kurdischer Städte in der Türkei dem Boden gleichgemacht worden, viele Zivilist*innen wurden ermordet. Graue Wölfe haben sich dem IS angeschlossen und kämpfen jetzt Schulter an Schulter mit den türkischen Truppen in dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Afrîn.

Aber da beginnen die Probleme mit der Meinungsfreiheit: Eine Veranstaltung über Afrîn und die aktuelle Situation in der Türkei war an der Hochschule Bremen unter dem Namen „Quo vadis, Türkei?“ vom Asta geplant. Die gleiche Veranstaltung war kurz vorher an der Uni Hamburg erlaubt gewesen. In Bremen verweigerte die Hochschule den Veranstalter*innen die Nutzung der Räumlichkeiten, weil es sich um eine „allgemeinpolitische Veranstaltung“ handele, ohne hochschulpolitischen Bezug, so hieß es.

Mal ist es dies, mal das: Ende November 2017 löste die Leibniz-Universität den Raumnutzungsvertrag für ein Podium des YXK e. V., des als gemeinnützig anerkannten Verbandes kurdischer Studierender, auf. Bei der Veranstaltung hätte es um demokratischen Föderalismus und die Situation des in der Türkei inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan gehen sollen. Aufgrund des Bezuges zu Öcalan handele es sich um eine verfassungswidrige Veranstaltung, argumentierte die Hochschule laut YXK. Auch das Logo des Studierendenverbandes ist seit März 2017 in Deutschland verboten.

In Meuchefitz im Wendland, Kreis Lüchow-Dannenberg, wurde diese Woche der „Gasthof des Widerstands“ durchsucht. Die Polizei erschien schwerbewaffnet als Hundertschaft, um ein Transparent mit der Aufschrift „Afrîn halte durch! Türkische Truppen & Deutsche Waffen morden in Rojava! Es lebe die YPJ/YPG!“ zu beschlagnahmen.

Bild: Omar Akahare
Ismail Ismail

Ismail Ismail pendelt zwischen Lüneburg, Oldenburg und Hannover, wo er sich auf sein Studium vorbereitet. Was ihm unterwegs widerfährt und wem er begegnet, schreibt er hier auf.

Die kurdischen Milizen YPJ und YPG niederzumetzeln ist Ziel des Kriegs gegen Afrîn, oder wie Erdoğan ihn nennt, die „Ölzweig-Operation“, damit die Kurd*innen dort keinen eigenen Staat gründen, der die innere Sicherheit der Türkei gefährden könnte.

Vor einiger Zeit hatte Erdoğan noch ein anderes Bild von den Milizen. Als der IS jahrelang das Gebiet an Syriens Grenze zur Türkei kontrollierte – damals galten die YPJ und YPG, trotz Kritik von Human Rights Watch in Deutschland als Held*innen, die für die Menschheit kämpften.

Sie sind immer noch die gleichen Held*innen, die in Afrîn unter anderem gegen IS-Barbaren kämpfen, die diesmal vermutlich deutsche Waffen und statt schwarzer Fahnen rote türkische Fahnen tragen. Letztere sind in Deutschland erlaubt, während die von YPJ und YPG verboten bleiben.

Jegliche Erwartung, dass Deutschland zum türkischen Angriff Stellung nehmen könnte, ist verpufft. Im Gegenteil: Der Angriff wurde legitimiert. Die Türkei hätte ja das Recht, für ihre Sicherheit zu sorgen. Ob sie die besser durch das Töten von Zivilist*innen, das Ruinieren tausendjähriger Tempel oder den Einsatz von Giftgas gewährleistet, müssen Merkel und Yildirim vergangene Woche besprochen haben. Oder im Januar Gabriel und sein Amtskollege Çavuşoğlu.

Wie kann ich mich mit vielen meiner Freund*innen, die Mitglieder der YPG sind, und an der Front zum Schutz meiner und anderer Familien kämpfen, solidarisch zeigen? Wie kann ich der YPJ, die für Frauenrechte und Gleichberichtigung kämpft, den Rücken stärken? Darf ich Fotos von Barîn Kobane zeigen, der YPJ-Kämpferin, deren Leichnam von mit Erdoğan verbündeten Dschihadisten verstümmelt wurde? Was hat sich bloß an YPG und YPJ seit 2014 geändert? Nichts. Was hat sich also in Deutschland seitdem geändert? Die deutsch-türkischen Beziehungen. Die haben sich verbessert.

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4 Kommentare

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  • Wir haben in Deutschland ein asymmetrisches Strafrecht, welches terroristisch und kriminell agierende Staaten schützt aber nicht staatliche Akteure streng reglementiert.

    Erdogans Handeln ist nach unseren Maßstäben auf jeden Fall kriminell und wohl auch ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Doch weder die verbale Unterstützung noch die tatkräftige Unterstützung mit Waffen und mit Milliardenbeträgen ist in Deutschland strafbar. Eine nichtstaatliche Organisation - und das ist die YPG solange kein kurdischer Staat anerkannt ist - genießt diese Gewaltprivilegien nicht. Gewaltsame Verteidigungshandlungen gegen ausländische Agressoren werden zudem als Terrorismus kategorisiert. Dabei ist die Kategorisierung als Terrorismus ein scheinbar beliebiger politischer Prozess, bei dem Leute, die ihr Land verteidigen mal zu heroischen Widerstandskämpfern und mal zu hochkriminellen Terroristen werden.

    Bei Staaten gibt es diese Willkür deutlich weniger. Wer heute für das Regime in Nordkorea sammeln würde, damit die mehr Atomraketen bauen, wird nur durch die Sanktionen abgehalten. Das Strafrecht an sich kriminalisiert die Unterstützung von staatlichen Kriegsverbrechern, Folterknechten und Agressoren nicht.

    Hätten wir heute aus ausländischer Sicht aber mit bundesdeutschen Strafrecht über den Graf von Stauffenberg zu befinden, so wäre es legal, den Nazis Geld zu spenden und ihnen Waffen zu verkaufen. Es wäre jedoch die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, für die Ideen von Graf von Stauffenberg im Ausland zu werben - wenn die Regierung das nicht will.

    • @Velofisch:

      Wer mit den Taten eines von Stauffenberg argumentiert begibt sich leicht in den Bereich einer apologitischen Geschichtsinterpretation. Graf von Stauffenberg war ja schliesslich kein Kämpfer für Republik, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte und Humanismus sondern ein deutschnationaler Putschist, der einen - zuvor verehrten - glücklosen Feldherrn beseitigen wollte.

  • Nun, es sieht so aus, als habe der deutsche Staat resp. dessen Regierung eine andere Meinung als Sie. Bei der Meinungsfreiheit - korrekterweise der Meinungsäusserungsfreiheit - geht es darum, dass man seine Meinung unter Berücksichtigung der Rechte Anderer frei äussern darf, was Sie in Ihrer Kolumne auch getan haben udn ich gehe davon aus, dass Sie niemand in D dafür auf eine staatl. Terroristenliste setzen wird.

     

    Dass Staaten vor allem Interessen haben und daher oft heuchlerisch agieren, ist keine neue Erkenntnis. Willkommen auf diesem Planeten!

     

    Ich bin absolut kein Freund des Erdogan-Regimes und ich habe auch die aktuellen deutschen Regierungsparteien nicht gewählt, aber die kurdischen Milizen und bewaffneten Verbände sind für mich auch keine Vorkämpfer des Humanismus sondern nationalistische Kriegstreiber, die ebenfalls über Jahrzehnte Zivilisten angegriffen und getötet haben. Nur weil sie aktuell gegen die noch bornierteren Metzler vom IS antreten, bleiben die PKKs, YPJs und YPGs und wie sie alle heissen doch Teil der waffenkonsumierenden Tötungs- und (Selbst)vernichtungsmaschine, die diese Region seit 100 Jahren beherrscht. Dass die Grundlagen dieser Gewaltorgien von den euopäischen Mächten bei der Zerschlagung des Osmanischen Reichs gelegt wurden und dass diese Mächte bei jeder Gelegenheit die Wut am kochen hielten, ist mir klar, aber letztendlich sind vor Ort die Opfer dieser Politik auch die Täter.

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    DANKE, vielmals Herr Ismail!

    Ihr Beitrag beschreibt genau die politische Verlogenheit, hierzulande.

    Ich schäne mich für diese Machenschaften der Politik!