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Kolumne Hier und dortIch wäre gern in Syrien geblieben

Kefah Ali Deeb
Kolumne
von Kefah Ali Deeb

Sehnsucht schmeckt wie die Frucht der Koloquinte, sie wird mit zunehmender Reife bitterer – ein Gefühl, das ich mit geflüchteten Freunden teile.

Noch immer springe ich vor Freude in die Luft, wenn ich Veilchen blühen sehe Foto: photocase / navina7

Was ist Heimat?“, werden deutsche Journalisten und Freunde nicht müde zu fragen, wenn ich über Damaskus rede.

In meinem Kopf gibt es da kein klares Bild. Mal ist Heimat die Gesamtheit unserer Erfahrungen, Erfolgserlebnisse, Enttäuschungen und Niederlagen. Mal ist es die Familie, die kleinen Dinge des Alltags, die Freunde, die wir uns bewusst suchen, die sich dahinschlängelnden Gassen, der Platz, wo wir auf die erste Liebe gewartet haben.

Auch das ist Heimat: Der Kloß im Hals und die feuchten Augen, wenn die Nationalhymne ertönt. Das Verantwortungsgefühl gegenüber einem selbstdefinierten geografischen Gebilde und der penetrante Drang, dieses zu verteidigen und in einem besseren Licht dastehen zu lassen, auch wenn dort Krieg herrscht.

Ja, ich wäre gern in Syrien geblieben!

Damaskus ist nicht mein Ursprungsort, geboren bin ich in Latakia. Aber in Damaskus konnte ich von Zweifeln unberührt zu meinem Spiegelbild sagen: Hier bin ich richtig. Ich habe Damaskus verlassen, weil ich musste. Der Spiegel ist zersplittert, mit ihm meine Seele.

Details aus Damaskus

Seit ich in Berlin angekommen bin, bemerke ich an mir eine Faszination für die kleinen Merkwürdigkeiten dieser Stadt. Jedes Mal, wenn ich ein Detail entdecke, das mich an Damaskus erinnert, frohlocke ich. Anfangs hielt ich das für eine Form von Sehnsucht, deren Heftigkeit mit der Zeit nachlassen würde. Was für ein naiver Gedanke!

Tage und Monate vergingen, mittlerweile schon ein ganzes Jahr. Und jetzt sitze ich in einem Straßencafé, auf das meine Wahl allein deshalb gefallen ist, weil es mich an die Cafés in Syrien erinnert hat. Noch immer springe ich vor Freude in die Luft, wenn ich im Park Veilchen blühen sehe, und es bereitet mir Kummer, wenn man den Jasmin in kleine Blumentöpfe zwängt, statt ihn über den Hauseingängen und Fenstern thronen zu lassen, wie das in Damaskus üblich ist.

Sehnsucht schmeckt wie die Frucht der Koloquinte, sie wird mit zunehmender Reife bitterer.

Meine syrischen Freunde, die über diverse Länder verstreut leben, bombardieren mich mit Neuigkeiten voll kindlichem Staunen: „Heute haben wir einen Laden entdeckt, der uns an die Läden bei uns erinnert hat!“, respektive „ein Restaurant mit syrischen Gerichten“ oder „eine Kneipe im selben Stil wie die bei uns“. Oder eine Straße, die ihnen so vertraut schien, als wären sie dort schon mal entlanggegangen. Oder…

Kollektives Gedächtnis

Fern der Heimat setzen wir die Eigenheiten fremder Städte unweigerlich in Relation zu denen unserer Heimatstadt, wie sie uns im Gedächtnis geblieben sind. Hier, in der Ferne definiert sich Heimat nicht nur aus der eigenen Erinnerung heraus, sondern aus dem kollektiven Gedächtnis von uns Syrern.

Ich frage mich: Wie ist das bei denen, die als Kinder oder Jugendliche hierhergekommen sind? Deren Erinnerung wird von den Merkwürdigkeiten des Gastlandes geprägt sein. Sie werden ihre Erfahrungen machen, sich ihr eigenes Leben aufbauen und dieses Land wird schließlich ihre Heimat sein. Die Erinnerungen ihrer Familie bleiben dann ihre einzige Verbindung zu Syrien. Und sie werden meinen Erinnerungen ähneln.

Übersetzung: Rafael Sanchez

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Kefah Ali Deeb
Kefah Ali Deeb wurde 1982 in Latakia, Syrien, geboren und ist 2014 nach Berlin geflohen. Sie ist bildende Künstlerin, Aktivistin und Kinderbuchautorin, außerdem Mitglied des National Coordination Committee for Democratic Change in Syrien.  
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3 Kommentare

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  • Lieber Kefah Ali Deeb,

    ich wünsche Ihnen eine erträgliche Fremde, dass die Fremdheit schwindet.

     

    Samar Yazbek reiste 2015 heimlich in ihr Land und schrieb diesen Bericht:

     

    Die gestohlene Revolution: Reise in mein zerstörtes Syrien, Nagel & Kimche 2015 https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/die-gestohlene-revolution/978-3-312-00672-4/

  • Was ist Heimat? Kefah Ali Deebs Definition ist vielleicht die kürzeste und zugleich treffendste von allen. Heimat ist da, wo der Mensch sich selber ohne Zweifel sagen kann: "Hier bin ich richtig".

     

    Genau deswegen macht es eine großen Unterschied, ob man als Kind, als Jugendlicher oder als Erwachsener einwandert. Im Laufe der Jahrzehnte ändert sich nicht nur die Vorstellung vom eigenen Ich. Es ändert sich auch die Vorstellung davon, was sich richtig anfühlt und was falsch. In dieser Veränderung liegt ein ziemliches Risiko.

     

    Als kleines Kind hat kaum ein Mensch eine eigene Persönlichkeit oder eigene Überzeugungen. Wo Eltern, Großeltern und Geschwister sind, da fühlen Kinder sich zuhause. Ohne die Liebe seiner Familie wäre das Kind überall fremd, mit ihr kann es fast überall zuhause sein. Kleine Kinder lassen sich deswegen oft beinah problemlos integrieren.

     

    Teenager entdecken über mehrere Jahre hinweg nicht nur sich selber, sondern auch die Gesellschaft um sich her. Dabei orientieren sie sich nicht mehr nur an der Familie, sondern auch an gleichaltrigen Freunden, die oft im Herkunftsland zurückbleiben. Ihre Integration ist häufig deutlich schwieriger, weil sich ohnehin anfallende Pubertäts-Konflikte mitunter verstärken durch den Wechsel des kulturellen "Rahmens" und das Fehlen der Freunde.

     

    Je älter Menschen werden, um so schwieriger ist es für sie, sich "nahtlos" zu integrieren in eine völlig fremde Kultur. Erwachsene haben oft sehr stark fixierte Vorstellungen von der eigenen Rolle in der Gesellschaft. Diese Vorstellungen können sie nur sehr behutsam korrigieren, weil ihnen sonst der Rückfall in die Pubertät droht.

     

    Die gute Nachricht ist: Es liegt auch eine Chance in dem, was Menschen ausmacht. Leben heißt Veränderung, auch für Erwachsene. Wer lange genug am Leben bleibt, der darf erwarten, dass er irgendwann eine neue Heimat findet. Einen Ort, an dem er wieder ohne Zweifel sagen kann: "Hier bin ich richtig".

  • Obwohl ich persönlich nichts von all dem Geschriebenem innerlich nachfühlen kann, am Allerwenigsten den Nationalhymnenkloss, denn Tränen kommen mir da höchstens, wenn ich an die Opfer denke, die Nationalismus und dessen Werkzeugkiste überall gefordert haben und weiter fordern, finde ich das Statement sehr schön und poetisch.