Kolumne Heult doch!: Eis oder Staub?
Ist doch eigentlich schön, wenn Kinder langweilige Fragen wie die, wie es auf dem Spielplatz war, einfach ignorieren. Und eigene Themen einbringen.
W enn ich abends nach Hause komme – oder, wie jetzt des Öfteren, aus dem Homeoffice, das in Wahrheit mein Küchentisch ist, aufspringe und zur Kita-Notbetreuung sprinte – will ich immer wissen, wie es meinen Kinder so ergangen ist den lieben (in der Notbetreuung nur halb-)langen Tag. Ich finde das eine legitime Frage, meine Kinder nicht so. „Das fragst du IMMER, Mama“, sagt der Große. „IMMER!“, sagt der Kleine. „Ja, weil es mich interessiert“, sage ich. „Aha“, sagt der Zehnjährige misstrauisch. „Aha aha aha“, echot der Fünfjährige vergnügt.
Ich glaube, es muss als Kind wahnsinnig anstrengend sein, sich vernünftig mit Erwachsenen zu unterhalten. Immer stellen die dieselben rhetorischen Fragen, wenn auch immer ein bisschen anders – „Wie war’s in der Schule/Kita?“, „Na, wie geht’s euch?“, „Und, was habt ihr gemacht?“ – und dann warten sie noch nicht mal die Antwort ab.
Aus der Sicht meiner Kinder sehen sie da abends vermutlich eine hektische Erwachsene, also mich, im Hausflur stehen, sich die Schuhe von den Füßen schütteln, mit einem Auge das Festnetztelefon nach entgangenen Anrufen checken, und dabei schon die frisch eingekaufte Milch in den Kühlschrank sortieren. Und dieser bereits leicht überforderte Mensch gibt dann also vor, wissen zu wollen, wie es auf dem Spielplatz war, wo doch bekanntlich seit Jahr und Tag dieselbe Rutsche rumsteht. Wahrscheinlich würde ich mir das selbst nicht glauben.
Warum also, aus Sicht des Kindes, sich die Mühe machen und ernsthaft von der Rutsche erzählen? Oder dass man, o Wunder, V. getroffen hat, wie morgens am Frühstückstisch von der Erwachsenen selbst verkündet, weil die es ja genau so mit V.s Eltern verabredet hat. „Weißt du doch, Mama!“
Hitler ist nicht so sein Stil
Vor allem aber will diese gestresste Erwachsene, die sich da die Schuhe von den Füßen schüttelt, einfach nicht zuhören. Denn das Kind hat ja durchaus viel zu erzählen, es hat sich schließlich Gedanken gemacht, den lieben langen Tag. Zum Beispiel darüber, ob die Oberfläche des Jupiter aus Staub besteht oder doch vielleicht aus Eis. „Ich glaube: Staub, Mama! Was glaubst du?“ „Keine Ahnung, aber wie war’s denn jetzt auf dem Spielplatz?“ „Nein, Mama, was GLAUBST du: Staub oder Eis?“ „Staub. Warst du auf dem Spielplatz?“
Das Lieblingsthema meines kleinen Sohnes ist gerade der Zweite Weltkrieg. Wir wohnen auf einer Ost-West-Bezirksgrenze, und immer, wenn wir zur S-Bahn gehen, sind da diese eingelassenen Steine im Gehweg, die an den ehemaligen Verlauf der Berliner Mauer erinnern. Warum dHitler ist nicht so sein Stilie da seien, will er wissen. Und schwupps, ist man von der Teilung („Aha, also Papa durfte bloß HINTER der Mauer Urlaub machen?“) bei den Russen und den Amerikanern und dann auch schon beim Zweiten Weltkrieg.
Und weil das Böse immer ganz besonders fasziniert, hat der Kleine gerade ein ausgeprägtes Interesse an Hitler. „Mama, erzähl mir ALLES, was du weißt.“ „Puh. So viel weiß ich da gar nicht.“ „Hatte der eine Frau.“ „Ja, quasi.“ „Hatte der Kinder?“ „Äh, nein.“ Der Kleine überlegt und runzelt die Stirn. Das wäre nicht sein Stil, sagt er dann würdevoll. Wenn schon Frau, dann auch Kinder.
Tja, was soll man da sagen? Gut, mein Kind, dass du nicht so werden willst wie Hitler, aber jetzt lass uns über was anderes reden, der ganze S-Bahn-Waggon guckt schon? Oder lieber darauf hinweisen, dass die Kernfamilie ein durchaus diskussionswürdiges Konstrukt ist? Wo man doch eigentlich nur fix eine Antwort haben wollte, wie es auf dem Spielplatz war? Und seit wann, mein Kind, sagst du überhaupt „mein Stil“?!
Ich habe darüber nachgedacht, ob ich wirklich wissen will, wie es auf dem Spielplatz war. Ich glaube nämlich, nicht. Mit wem sonst kann ich mich schon über die Oberfläche des Jupiter unterhalten? Diese ganzen vernünftigen, langweiligen Fragen, die man als Erwachsener den ganzen Tag so hat. Und abends dann, endlich mal, überhaupt keine langweiligen Antworten. Danke, Kinder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern