Kolumne Heult doch!: Die Liebe-alle-Aufforderungsmail

Schon immer haben Menschen Kinder bekommen, sie werden es vermutlich weiterhin tun. Und Mails schreiben, um alle zum Laufen zu bringen.

Laufende Kinder

Laufen, nicht nur, weil von den Eltern aufgescheucht Foto: dpa

Eine Kinderkolumne sorgt relativ zuverlässig dafür, dass einen andere Menschen für das, was man da schreibt, entweder gar nicht oder sehr mögen. Wer auf extreme Reaktionen steht, der schreibe über Kinderkacke, verpflichtende Masernimpfungen und Gleichberechtigung am Wickeltisch – oder gar, halten Sie sich fest!, nach der elternzeitlichen Rückkehr ins Büro/ans Fließband/hier Ihren Job eintragen.

Beim Thema Impfung kann man sich nur auf die falsche Seite schlagen. Beim Mann-Frau-Dings wiederum verheddert man sich so verflixt schnell in den realen Leben da draußen, die sich hinter Statistiken über vermeintlich unglückliche Vollzeitmütter und tolle Teilzeitväter verbergen. Und außerdem kriegt man auf die Dauer so einen strengen Zug um den Mund, der völlig berechtigt sein mag, den man aber trotzdem nicht will (wenigstens bekommt man aber bei beiden Themen ganz passable Einschaltzahlen im Internet).

Der Rest ist, nun ja, weitestgehend Kinderkacke, also unpolitisches Bullerbü, und allein dafür, dass man sich traut, andere damit zu langweilen, kann man seine Mitmenschen böse werden lassen.

Tatsächlich ist es ja so: Nichts ist so banal, wie Kinder zu haben. Etwa 461.000 – sich wie auch immer zusammensetzende – Familien mit Kindern im Haushalt lebten 2017 in Berlin. Schon immer haben Menschen Kinder bekommen, sie werden es vermutlich auch weiterhin tun. Schon immer hat es ihnen Probleme bereitet, und wahrscheinlich wollten sie auch schon immer über diese Probleme reden. Wer aber 1850 halt sechs Tage die Woche in einer Fabrik schuften musste – die Erfindung des modernen Konzepts Kindheit war noch so jung wie die Dampfmaschine und „Samstags gehört Vati mir!“ erfand der Deutsche Gewerkschaftsbund erst etwa 100 Jahre später –, hatte bloß keine Zeit dafür.

Jetzt in Ruhe postmoderne Kinderkacke

So. Da das geklärt ist, kann ich jetzt in Ruhe wieder über postmoderne Kinderkacke jammern. Konkret möchte ich mich dieses Mal darüber beschweren, dass ich mich dieses Jahr leider nicht darüber beschweren kann, dass der alljährliche Mailzirkus vorm Schul-/Kitajahresende über mir zusammenschlägt. Ich mache dieses Jahr nämlich selbst mit beim großen Mailinglisten-Feuerwerk und ja, ich bin genauso gnadenlos wie alle Sommerfest- und Schuljahresabschlusspicknick- und Abschiedsgeschenkbeauftragten vor mir.

Ich weiß auch nicht so genau, wie es dazu kam, aber ich leite jetzt jeden Donnerstag eine Kinderlaufgruppe. In der Schule des Beinahe-schon-Zehnjährigen machen sie im September beim Mini-Marathon mit, das ist der Kinderlauf einen Tag vor dem großen Berlin-Marathon. Beinahe jeden Mittwochabend schicke ich also jetzt eine Mail über den Verteiler: eine Jetzt-geht’s-los-Mail, eine Liebe-alle-der-Treffpunkt-ändert-sich-Mail oder die Achtung-kein-Training-wegen-Feiertag-Mail. Irgendwas ist immer. Damit es da keine Missverständnisse gibt: Die Kinder sind klasse, wenn ich nicht schon längst Spaß am Laufen hätte, hätte ich ihn jetzt.

Immerhin hat mich das schlechte Gewissen über mein eigenes Mail-Gespame milder werden lassen. Ich habe zum Beispiel gleich nach der Erhalt der entsprechenden Liebe-alle-Aufforderungsmail, also wirklich noch am selben Tag, mich für den Küchendienst beim Kita-Sommerfest eingetragen und stehe außerdem mit Gurken und Möhren in der Rubrik „Gemüse“ ganz oben auf der Essensliste (das finde ich immer noch sehr clever von mir, Kuchen backen dauert länger, die Rubrik „Warmes“ sowieso). Ich habe außerdem: sechs Euro Unkostenbeitrag ins Kita-Garderobenfach von R. gelegt, das Geld für die Klassenfahrt überwiesen und ein Lieblingsrezept des Vierjährigen rausgesucht, das in das Kochbuch kommt, welches der Kitaköchin zu ihrem Abschied überreicht werden wird.

Übrigens, um noch mal ein bisschen Schwung in die Kolumne zu bringen, ich will ja niemanden langweilen: Ich halte Impfgegner für wirklich gefährliche, weil andere gefährdende Menschen. Ich bin trotzdem gegen eine Impfpflicht, weil ich zugleich an das überzeugende Wort und die Vernunft im Menschen glaube. Vermutlich bin ich da zu optimistisch, aber alles andere wäre ja auch Kinderkacke.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.