piwik no script img

Kolumne HerbstzeitlosDie Puppe aus der Bauchtanzgruppe

Martin Reichert
Kolumne
von Martin Reichert

Kulturelle Aneignung? Nein, es ist nicht schlimm, wenn sich bewegungseingeschränkte deutsche Frauen orientalischen Tanztechniken zuwenden.

Man muss sich ja nicht alles ansehen Foto: imago/ZUMA Press

I rgendwann in den achtziger Jahren wurde es in Deutschlands alternativen und auch frauenbewegten Szenen von Berlin-Kreuzberg bis Bielefeld Mode, dem orientalischen Bauchtanz zu frönen. Weil die Ausübung dieses recht viele Muskelgruppen aktivierenden Tanzes – auch solchen, deren Existenz man schon vergessen hatte – als sinnliche Methode der Geburtsvorbereitung galt.

Dreißig Jahre später gibt es diese Bauchtanzgruppen noch immer, und so begab es sich, dass ich in eine Aufführung einer solchen geriet, mitten in Berlin.

Es wäre nun sehr einfach, sich über eine solche Aufführung lustig zu machen: Zwanzig nunmehr postklimakterische deutsche Frauen – das Personal der Gruppen ist fast das gleiche wie vor dreißig Jahren – schwingen die Hüften zu orientalischen Weisen. Überall glitzert und leuchtet, was die Stoffabteilung von Karstadt hergegeben hat, und die Choreografie ist mitunter hölzern wie deutsche Eiche.

Selbstverständlich versagte auch die (ja klar, von einem Mann) verantwortete Technik auf voller Linie. Und immer die Angst, dass der Saal jede Minute von einer studentischen Kampfgruppe gestürmt werden könnte, die zur Abwendung von weiteren Exzessen kultureller Aneignung auch vor dem Einsatz von Buttersäure nicht zurückschrecken würde.

Der Gloria Gaynor-Moment

So will man ja seinen Sonntagabend auch nicht verbringen. Und so weit kam es dann nicht, es wurde ganz anders. Es war nämlich nicht möglich, sich dem Charme dieser Veranstaltung zu entziehen, die – ähnlich einer Schultheateraufführung – Pflichtprogramm für sämtliche Verwandte, Kollegen und Freunde zu sein schien; das aber im großen Stil: voller Saal, zwei Stunden strammes Programm. Keiner darf raus.

Doch je länger man zuschaute, desto mehr Details an den wahrscheinlich selbst geschneiderten Kostümen konnte man erkennen und wertschätzen. Je länger man zuschaute, desto mehr Sympathien konnte man für die Protagonistinnen entwickeln, von denen einige hier gewiss ihren persönlichen Gloria-Gaynor-Moment hatten: „I am what I am / And what I am needs no excuses.“ Hier tanzten Damen mit Grandezza, die auf die siebzig zugehen, und auch solche, die deutlich mehr wiegen als Heidi Klum. Nein, es kann eigentlich nichts Verwerfliches daran sein, wenn sich bewegungseingeschränkte deutsche Frauen außereuropäischen Tanztechniken zuwenden.

War es die Apfelschorle oder die Musikauswahl – wussten Sie, dass es eine Kirmestechno-Version von „Spiel mir das Lied vom Tod“ gibt? – oder doch eher die Großzügigkeit im Saal, die Bereitschaft über Mängel hinwegzusehen und vordergründig Lachhaftes zu beklatschen, die mir am Ende des Abends ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hatte, das ich mit nach Hause nehmen konnte.

Den besten Bauchtanz ever habe ich übrigens mal in Istanbul gesehen, in einer Schwulenbar (ja klar, von einem Mann verantwortet). Aber bei der nächsten Aufführung der Bauchtanzgruppe soll auch Mustafa wieder dabei sein, so hieß es gerüchteweise in der Pause. Auch das werde ich mir nicht entgehen lassen.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Martin Reichert
Redakteur taz.am Wochenende
* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • "Kulturelle Aneignung" nennt sich Entwicklung. Dieser Begriff ist höchst gefährlicher ethnopluralistischer Unsinn. Kultur ist zum weitergeben da. Ansonsten gäbs gleich Moor mit Bucheckern zu essen. Und jetzt in Ruhe weiter Bauchtanzen.

    • @Bandari:

      "Kulturelle Aneignung" ist für die einen ein "höchst gefährlicher ethnopluralistischer Unsinn" und für die anderen ein ziemlich guter Grund, aufs Urheberrecht und die entsprechenden Finanzen abzuheben.

       

      Ja, Kultur ist zum Weitergeben da. Die Frage ist ja auch nur die: Zu welchem Preis und wer bestimmt, an wen?

       

      Wenn es nach manchen Menschen geht, dann essen arme Leute auch morgen noch ausschließlich "Moor mit Bucheckern" und reiche besaufen sich am kulturellem Eigentum (anderer) wie am Champagner.

       

      Nichts gegen Bauchtanzen. Aber: In Ruhe?

  • Bill Ramsey - war ein begnadeter Musiker.

     

    `Chefe alle paletti` befand - " isse nich schlimm.."

    Tja - Schreiben jenseits von altfränkisch - Müßte mann können.

    ".....Aber bei der nächsten Aufführung der Bauchtanzgruppe soll auch

    Mustafa wieder dabei sein, so hieß es gerüchteweise in der Pause.

    Auch das werde ich mir nicht entgehen lassen."

    Hauptsache.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      "Bill Ramsey - war ein begnadeter Musiker."

      Und swingt immer noch wie in alten Zeiten...

      • @571 (Profil gelöscht):

        Ja - ;))) - & das bitte noch lange!!

         

        Asche auf mein Haupt -

        Hatte das Verb schon gelöscht &

        Dann doch die rohFassung erwischt!

        (wie war das nochmal mit -

        "Hä Hä - iphone 4!" - 's spinnt a weng!