Kolumne Henningway: Spieler werden hört niemals auf
Sportspiele versteht man eigentlich nicht. Mit der Zeit bekommt man jedoch eine Ahnung von richtigen und falschen Entscheidungen.
A uf den Feldern der Sportspiele herrschen andere Regeln als in der Alltagswelt. Alles ist ein wenig direkter und klarer: Es gibt mich, meine Mannschaft und mein und unser Gegenüber. Und hier gibt es Spielregeln, ein Spielniveau und eine Taktik. Die Aneignung von ebendiesen Spielen kommt einer friedlichen Eroberung neuer Räume gleich. Denn die Linien und Umrandungen der Spiele sind immer gleichzeitig auch die Schwellen zu einem anderen (Vorsicht!) Sein. Wenn ich auf das Feld oder das Parkett trete, bin ich im Spiel mit seinen Regeln und bin ich, im Idealfall, irgendwann ein Spieler.
In unserer Mannschaft bei Alba Berlin gab es einmal einen Spieler, dem wurde im kleinen Kreis der Spitzname „28 x 15“ („Twentyeighttimesfifteen“) gegeben, weil er sich, wie es schien, vor allem dort, auf ebendiesen 28 mal 15 Metern des Basketballparketts, wohlfühlte und, anders als im Alltagsleben, auf diesem Feld brillierte.
Der Spieler ist der, der das Spiel draufhat. Aber wann hat man das Spiel drauf? Spiele versteht man langsam. Man lernt dort viel über Entscheidungen und Optionen – wann mache ich was, was ist jetzt wohl richtig? Irgendwann spricht man dann von Spielmachern, Rollen- und Bankspielern, man spricht von Positionen. Einen Traumspieler, der das Ideal des Spiels verkörpert, gibt es trotzdem nicht, genauso wenig, wie es den einen Spieler gibt; am ehesten noch spricht man von Spielertypen.
Spiele verstehen braucht Zeit
Spiele zu verstehen braucht Zeit. Wenn einer das Grundsätzliche und ein bisschen mehr verstanden hat, ohne dass er das normalerweise in Worte packen könnte, dann nähert sich dieser dem Spielerdasein. Doch eigentlich müsste man sagen: Spiele versteht man, im rationalen Sinne, gar nicht. Ich verstehe sie vielleicht besser als andere, wenn ich mich mit ihnen vergleiche. In meinem Spieler-Leben hat es sehr lange gebraucht, eigentlich erst zum Ende hin, bis ich wirklich eine Ahnung von richtig und falsch, von richtigen und falschen Entscheidungen im Spiel hatte.
Spieler werde ich nicht, indem ich mir ein Trikot überziehe, sondern indem ich mich mit dem Spiel auflade. Vor allem heißt das, wie bei jedem Handwerk: üben, üben, üben. Alle Bewegungen und jede Technik muss ich mir aneignen. Das Ideal besteht in einem Verständnis der Wechselwirkung aus etwas üben (sich aufladen) und dieses dann im Spiel einsetzen (es draufhaben). Erst dann hat es seinen Wert. Es ist die Synthese von Üben und das Geübte im Spiel einsetzen – merken, dass sich dadurch etwas ändert: Ich spiele anders. Ich spiele besser!
Visuelle Vorbilder
Spieler wird jemand, indem er sich bei anderen abguckt, wie man spielt. Idealerweise lerne ich durch visuelle Vorbilder. Ich sehe, was diese können, wie sie spielen, wie sie mit anderen – Gegnern und Mitspielern – spielen; ich sehe, welche Techniken und Tricks sie draufhaben. Ich übe das und mache es nach und mache es zu einem nur mir Eigenen. Reine Technik ist wertlos, um die Anwendung von Techniken – darum geht es.
Und jede Technik, die in der Anwendung einer Option gleichkommt, hat einen Bruder, der in die andere Richtung führt. Wenn ich mit rechts dribbeln kann, sollte ich das auch mit links können. Spieler sind wie Schauspieler, sie haben das Spielen wie diese drauf. Sie verkörpern Rollen. Und je mehr sie wissen, desto mehr spielen sie wie auf einer Bühne. Ein echter Spieler ist jemand, der etwas personifizieren kann und viele Finten in petto hat. Wie soll mir mein Gegenspieler auch etwas abkaufen, was ich nicht glaubhaft verkörpern kann?
Spieler zu werden hört niemals auf. Und ist noch immer kein Schulfach.
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