Kolumne Helden der Bewegung: Saubermann im Mittelfeld
„Zwei Drittel der Erde sind von Wasser abgedeckt, den Rest macht Kanté“, sagt man über den französischen Fußballer N’Golo Kanté. Stimmt.
E s lief lange Zeit zu gut beim Deutschen Fußball-Bund, da hat man sich halt jahrelang nicht interessieren müssen für die Welt jenseits des Spiegels. Jetzt ist der Jammer groß, keiner interessiert sich mehr für die fast geglückten Übersteiger eines Timo Werner.
Selbst das Gelsenkirchener Publikum hat sich überhaupt nicht erwärmen können, trotz eines 2-Tore-Vorsprungs gegen die Niederlande, trotz eines „über weite Phasen couragierten und engagierten Auftritts“, wie all jene Fußballjournalisten sich ausdrücken, die daran arbeiten, dass spätestens zur WM 2020 Bots ihre Texteraufgaben übernehmen können, weil sie weiß Gott keinen Bock auf Katar haben. Selbst das Gelsenkirchener Publikum, dessen Stammverein aktuell einen derart grausigen Fußball spielt, als hätte Martin Walser das Textbuch dazu geschrieben.
Aber selbst dieses Publikum will sich einfach nicht erwärmen. Was Bierhoff so plant mit seinem Fan-Club Nationalmannschaft, ist allen scheißegal. Da kann er sich noch Stunden hinsetzen und diverse Stadienpläne mit lauter kleinen Grinse-Smileys vollmalen, bis es nach ausverkauft aussieht; davon kommen die Leute auch nicht.
Und: keine famose Einzelleistung rettet das Game. Es ist möglich, eine Sitcom selbst ohne Handlung noch staffellang nur durch die Eigenarten der Figuren weiterleben zu lassen, aber dazu müssen die Protagonisten auch stark genug sein, die Handlungslosigkeit zu überspielen. Das ist aktuell nicht der Fall: Die selbstgewisse Drolligkeit eines Thomas Müller funktioniert nur in warmem Wasser, Toni Kroos’ Süffisanz wirkt jetzt, wo es nicht läuft, wie ein Mantel ohne Kleiderständer.
Einzig Mats Hummels mit seiner c’est la vie-Lässigkeit, die mich immer denken lässt, er habe in der rechten Hand ein Whiskeyglas, transportiert das Gefühl einer ausmöblierten Figur, einer erzählerischen Einheit: allerdings einer, die sich mit der Siegesgewissheit und dem Mentalitätsmonstertum der Mannschaft nicht vereinen lässt. Nebenfiguren, die sich aufdrängen, gibt es nicht.
Eine geerdete Persönlichkeit
Im krassen Gegensatz dazu steht die Équipe Tricolore, die zwar den Gruppensieg in der Nations League verpasst hat, aber davon hat in der letzten Zeit kaum einer gesprochen. Stattdessen fiel immer wieder ein Name, der den Nebenerzählungsstrang „Volksnähe“ in einer Intensität performt, dass sich Alexander Dobrindt überlegt, ein Coaching anzufragen: N’Golo Kanté.
Zuerst einmal: Die Hintergrundstory stimmt. Es ist eine oft erzählte, aber falsche Geschichte, Frankreich hätte den WM-Titel wegen seiner grandiosen Jugendarbeit gewonnen. Drei prägende Figuren hatte das System wieder ausgespien, Antoine Griezman wurde in Spanien ausgebildet, Kylian Mbappé versauerte in Monaco auf der Bank, und N’Golo Kanté gab sein Profidebüt mit 23. Leicester City holte ihn in die Premier League, mit ihm als zentralen Spieler gewannen sie sagenhafterweise die Meisterschaft. „Zwei Drittel der Erde sind von Wasser abgedeckt, den Rest macht Kanté“, sagt man. Ein Witz, den es über ein paar Spieler gibt, aber bei N’Golo Kanté stimmt er.
Ein Überflieger, trotzdem auf der Erde geblieben. Eine geerdete Persönlichkeit. Als er im September seinen Zug nach Paris verpasste, ging N’Golo Kanté in eine anbei liegende Moschee und ließ sich hinterher von ein paar Fans nach Hause einladen, um Fußball zu gucken. Gut, ganz nett. Machen nicht viele, aber kann man machen.
Und dann kamen die Football-Leaks-Berichte, und N’Golo Kanté schaffte etwas, das außer ihm keiner hinbekommen hat: Er sah dabei gut aus. Tatsächlich wollten ihn Berater und sein neuer Club, der FC Chelsea, dazu überreden, einen Teil seiner Einkünfte vor der Steuer zu verstecken. Kanté dachte nach, er dachte nach, er dachte recht lange nach, und sagte dann: Danke, nein. Er wolle alles sauber haben. Wie im Mittelfeld halt auch.
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