Kolumne Habseligkeiten: All you need is ♥
Warum bloß tragen plötzlich alle Erwachsenen Herzen auf der Brust?
W en lieben Sie? Ihre Mutter, Ihren Vater, die Kinder? Sich selbst und sonst niemanden? Schauen Sie doch bitte mal an sich herunter. Wenn Sie nämlich dazu neigen, jeder Mode hinterherzulaufen, dann steht dort neuerdings vielleicht auf Ihrer Brust, für wen oder was Ihr Herz schlägt.
Dabei fand man jahrelang überhaupt keine Herzen auf der Oberbekleidung von Erwachsenen, und idealerweise auch nicht auf der Unterwäsche. Herzen waren kleinen Mädchen mit Pippi-Langstrumpf-Frisuren vorbehalten, wer etwas darstellen wollte, der schmückte sich mit Pferden, Wappen und den Schriftzügen nicht existenter, oder realer, aber nur widerwillig besuchter Bildungsinstitutionen. In letzter Zeit aber steht immer jemand mit einem "I ♥ Irgendwas"-T-Shirt herum.
Der Klassiker unter den ♥-T-Shirts ist weiß und trägt den Aufdruck "I ♥ NY". Es gibt kein besseres Souvenir, auch wenn die Menschheit aus einem mysteriösen Grund glaubt, ohne "Hard Rock Café Cancun"-Shirts oder ähnlichem Mist nicht zum Rückflug zugelassen zu werden.
Natalie Tenberg ist Redakteurin im Gesellschafts-Ressort der taz.
Mein Problem nun war, dass ich ein "I ♥ NY"-Hemd gerne gehabt hätte, aber mit zwei kleinen Kindern gerade nicht so einfach nach New York kam, sondern leider nur zu New Yorker, einem Bekleidungsgeschäft, das sich auf die Ausstattung junger Mädchen mit zweifelhaftem Modegeschmack spezialisiert hat. Dort fand ich einzig ein auf fünf Euro reduziertes "I ♥ DJs"-Shirt in Pink. Das erwies sich nach nur wenigen Minuten am Leib als glatter Fehlkauf, denn anstatt von Liebe erfüllt durch die Gegend zu marschieren, grübelte ich über das auf meinem Bauch stehende Deppenapostroph. War das Absicht? Oder ein Versehen? Wann war ich überhaupt das letzte Mal auf einer Veranstaltung mit DJs gewesen?
Ich war mit meinem T-Shirt gar nicht im Reinen, ganz im Gegensatz zu einer Frau, die ich vor ein paar Tagen im Zoo sah. Auf ihrem T-Shirt stand: "I ♥ SEX & SHOES" und die kleinen Produkte dieser Liebe krabbelten mit "I ♥ MY MOM"-Bodys durch die Gegend. Andere Zoobesucher liebten anscheinend San Fransisco, Fußball oder Paris. Nach drei Stunden Zoobesuch und intensiver Beobachtung der menschlichen Garderobe war ich einfach nur froh, über alles, was auf dem Oberkörper stand, und nicht auf dem Hinterteil abgenudelter Jogginghosen spazieren getragen wurde. Am besten gefiel mir das T-Shirt einer wirklich dicken Frau, die mit dem charmanten Aufdruck "A demain je commence ma regime" (Morgen fange ich mit meiner Diät an) durch eine Gruppe von Marathonläufern spazierte und dabei sehr happy wirkte.
Vielleicht, so dachte ich, hat das alles mit unserer vernetzten Welt zu tun. Schließlich kann man dauernd seinen Kommentar abgeben oder auf "Gefällt mir" klicken. Weshalb also sollte dieses Verhalten nicht einfach auf die Garderobe zurück übertragen werden? Bald aber wird es mit den "I ♥ Irgendwas"-Shirts wieder vorbei sein. Ich habe nämlich ein viel besseres gesehen, das dem Mitteilungsbedürfnis der Menschen noch radikaler entgegenkommt: "Find me on Facebook", steht darauf, "my username is …".
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