Kolumne Habibitus: Gib ihnen Schelle
Nach Charlottesville diskutieren alle über Neonazis, dabei müsste die Frage ein Dauerbrenner sein. Doch was ist der beste Umgang?
S eit dem rassistischen Terroranschlag in Charlottesville wird wieder prominent diskutiert: Wie umgehen mit Neonazis? Diese Frage sollte Dauerbrenner sein. Aber da einige Teile der Bevölkerung nicht permanent wegen Neonazis um ihre Existenz fürchten müssen, wird lieber über den letzten „Tatort“ oder angezündete Autos gesprochen.
So sind viele Leute immer noch davon überzeugt, dass der beste Umgang mit Neonazis (und Nazis) der Dialog sei. Ich weiß nicht, ob sie sich mit Geschichte auseinandergesetzt haben, aber das letzte Mal, als ich nachgeschaut habe, wurde der Nationalsozialismus nicht beendet, weil es innovative Gesprächsformate gab, sondern mit einem Krieg. Wer die Geduld hat, mit Neonazis zu reden und zu versuchen, sie zu überzeugen, soll ruhig sein Glück versuchen – vielleicht klappt es mal.
Das Verurteilen von Menschen, die sich nicht auf dieser Illusion ausruhen, ist aber Haramstufe Rot. Das kommt von den gleichen Leuten, die immer erwarten, dort, wo sie stehen „abgeholt zu werden“, anstatt sich selbstständig mit politischen Themen auseinanderzusetzen. Ich setze nicht bei allen Leuten den gleichen Wissensstand voraus und erkläre dort, wo es nötig ist, auch gern mal was.
Aber zu viele Leute machen es sich mit ihrem Abholschein gemütlich. Ich bin ich kein Shuttlebus, der Leute von A nach B kutschiert. Vielleicht einfach mal selbst hinlaufen oder ein Taxi nehmen, anstatt darauf zu bauen, dass Leute emotionale Arbeit in Leute reinbuttern, die ihnen am Ende noch mit so Nonsens wie umgekehrtem Rassismus und Sexismus gegen Männer kommen.
White Supremacy ist Terror
Natürlich müssen Neonazis (und Nazis) auf die Fresse kriegen – das steht nicht zur Debatte –, aber damit ist der Job leider nicht erledigt. White Supremacy ist Terror. Aber Weißsein wird nicht erst dann zum Problem, wenn ein Neonazi mit dem Wagen in eine Black-Lives-Matter-Demo reinfährt und Menschen ermordet.
Rassismus passiert auf einer Skala. Ich habe im Netz ein Pyramidenschema gefunden, auf dem Rassismus in aktiv/gesellschaftlich verurteilt und passiv/gesellschaftlich akzeptiert aufgeteilt wird. Der aktive Part ist nur die Spitze des Dreiecks. Darin befindet sich etwa Hasskriminalität, Polizeigewalt oder „Racial Profiling“. Der latente Teil trägt jedoch viel mehr in sich: Hass gegen Migrant_innen, Paternalismus, die Instrumentalisierung von nichtweißen Personen zum Reinwaschen des eigenen Images, kulturelle Aneignung oder das Leugnen weißer Privilegien.
Mordende Neonazis haben eine ganz andere Dimension als Kartoffeln mit Wursthaaren. Aber nur, weil das eine schlimmer ist als das andere, ist das andere nicht okay. Dieses Gegeneinanderaufwiegen ist „Silencing“: Solange Schwarze Menschen ermordet werden, gibt es keinen Grund, sich über weniger bedrohliche Zustände zu beschweren. Und: Weiße Leute haben so eine Ausrede, sich nicht mit ihrem Rassismus auseinandersetzen zu müssen, weil sie sich auch einfach von Neonazis abgrenzen können. Aber außer Abgrenzen tun sie halt wenig bis nichts gegen die. Und das ist auch haram.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Lateinamerika und Syrien
Assads Freunde