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Kolumne Haben WollenEcht fetisch

Manchmal kann Kalbsleder aus der Masterarbeitsstarre helfen. Und ein Ordnerrückenaufkleber mit Hirsch den Umgang mit der Steuererklärung erleichtern. Aber warum?

N eulich traf ich meine Freundin Martha. Seit Monaten will sie ihre Masterarbeit schreiben, kommt aber nicht über das Thema hinaus. Gewappnet mit aufbauenden Sätzen wie "Zur Not wanderst du einfach aus und ich komm mit" besuchte ich sie, um sie da mal rauszuholen.

Martha aber sagte: "Stell dir vor, ich habe den perfekten Geldbeutel gefunden! Von Aigner, runtergesetzt auf 100 Euro, Kalbsleder. Wenn ich den nicht kaufe, kann ich nicht weiter existieren. Leider bin ich pleite."

Ich überlegte. Was nutzte ein Geldbeutel, wenn man danach kein Geld mehr hat, um es darin herumzutragen?

"Wofür brauchst du eine neue Geldbörse?", fragte ich. "Du hast doch eine." Mit ihrer schäme sie sich an der Kasse, sagte Martha, "Kunstleder geht gar nicht."

Es ist ja so: Die Kaufentscheidung verrät etwas über den Käufer. Selbst Menschen, die keinen Wert auf Mode legen, laufen nicht nackt herum. Wenn sie einen hässlichen T-Shirt-Fetzen tragen, ist das im besten Fall Kapitalismuskritik, im schlimmsten schlechter Geschmack.

Martha hingegen wollte mit dem Markenobjekt ihrer Begierde nicht nur ein bestimmtes Bild präsentieren - nein, sie litt wohl an einem Geldbeutel-Fetischismus. Sie sprach dem Portemonnaie ihrer Träume übernatürliche Kräfte zu, die ihre Probleme, ihre Ängste, ihre Geldsorgen verschwinden lassen sollten.

In einer edlen, großen Kalbslederbörse musste sich ja fast zwangsläufig eine erhebliche Anzahl von Scheinen tummeln, die sich in diesem natürlichen Lebensraum von alleine vermehren. Und wo sonst sollte eine Mastercard Gold stecken? Etwa in einer Brieftasche von H & M? Martha kaufte das Portemonnaie am selben Tag. Ihr Konto fiel ins Koma.

Ich hingegen ging nach Hause mit dem Vorsatz, endlich meine Steuererklärung zu machen. Mit der Konzentration ist das allerdings so eine Sache, wenn ihr stapelweise Quittungen und Formulare im Weg liegen. Mein spontaner Reflex bestand darin, den Tisch in die Küche auszulagern. Nein, dieses Mal würde ich mich zusammenreißen!

Nach fünf Minuten konzentriertem Lesen der Steuererklärungsanleitung fiel mir auf, dass mein Ordnersystem diesen Namen nicht verdient. Es ist ein Ordnerchaos. Wie aber, bitteschön, soll man in diesem Wissen seine Steuer machen?

Bild: privat

Franziska Seyboldt ist taz.de-Redakteurin.

Ich ging also in den Schreibwarenladen und kaufte Ordner, Registerblätter, Klarsichthüllen, dazu Tesafilm und Post-its. Dann schaute ich bei Rossmann rein und fand: Aufkleber für Ordnerrücken, die zusammen einen Hirsch ergaben. Wenn sie es nicht schafften, System in mein Chaos zu bringen - wer dann?

Erst wenn die Steuerunterlagen einen Ordner bekämen und neben Finanzen, Arbeit, Wohnung stünden, dann, ja dann könnte ich meine Steuererklärung machen. Wie Marthas Kalbslederbörse signalisierten die Hirschaufkleber: Alles wird gut. Ganz ohne mein Zutun.

Nachts träumte ich von traurigen Formularen, die bei einer Inneneinrichtungssendung ein hübsches Zuhause bekamen und, beflügelt vom Feng-Shui der Ordnung, sich ausfüllten und selbst zur Post brachten.

Der neue heiße Scheiß heißt definitiv Fetischismus.

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taz am wochenende
Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).

6 Kommentare

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  • S
    stpauliwoman

    ist jetzt gemein, aber mal ehrlich: das sind doch postpubertäre nachwehen verwöhnter bürgertöchter. was hat denn so ein text in der taz zu suchen? kann ich nix mit anfangen ...

  • AF
    Anna Frankreich

    Es tut mir leid für das liebe Kalb, das Tier das für so ein Egoistische Frau gestorben ist. Nein Leder is kein Restprodukt, da wird grob für gezahlt.

     

    Schade das es Menschen gibt die ihr Gehirn und ihr Geld nicht für bessere, ethischere Sachen benutzen. Kein Respekt für solche große Leere.

  • M
    Matze

    Das ist schon kein Fetischismus mehr, das ist selbstreferentieller Kapitalismus ..

     

    Geldbörse als Mode-Accessoire, emotionalisierte Ordner-Systeme für die Steuererklärung.

     

    In den alten MAD-Comics wurde mal ein "Trockenwasser für die Wüste (zum in Wasser auflösen)" beworben.

     

    Noch besser wäre: solar-betriebener UV-verstärker für heiße Sonnentage.

  • K
    Kerl

    Kenn ich.. als ich meine Hausarbeit fürs Staatsexamen machen musste hatte ich plötzlich das große Bedürfnis in Mexiko Spanisch zu lernen. Eher Verdrängung als Fetisch. :-)

     

    Viel Glück

  • HN
    herr ning

    wieso?

    wieso dieser text?

    wozu.

    weshalb.

    warum.

  • AB
    Alex B.

    "Selbst Menschen, die keinen Wert auf Mode legen, laufen nicht nackt herum."

     

    Abgesehen von möglichen rechtlichen Problemen lässt einem schlicht die normale deutsche Witterung einem die meiste Zeit keine andere Wahl als sich zu kleiden. Aus ähnlichen Gründen gibts hierzulande in Betten unterschiedlich geartete Decken und Oberbetten zum Bedecken des Körpers. Ebenso wie bei Öfen/Heizungen lässt ihre interkulturelle Verbreitung auf mehr als nur ein Modephänomen schließen.

     

    Dazu, dass offenbar die einzige Alternative zu einem nicht benötigten Portemonnaie für 100€ ein ebenso wenig benötigtes Geldbehältnis von H&M sein soll, schweig ich mal lieber.