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Kolumne Gott und die WeltDie Bundesrepublik ist gegründet

Kolumne
von Micha Brumlik

In der Neuauflage einer Studie bekommen linke Studenten eine wichtige Rolle für die Bonner Republik zugeschrieben.

1968, Berlin: Studentenführer Rudi Dutschke (Mitte) demonstriert gegen den Vietnamkrieg Foto: dpa

D er Hype um das Jahr „1968“ hat seinen Höhepunkt erreicht. Die Auseinandersetzung mit diesem „annus mirabilis“ beweist die Wahrheit von Jan Philipp Reemtsmas Überzeugung, dass Zeitzeugen hier und Historiker dort Todfeinde sind.

Der Athener Thukydides schrieb eine Geschichte des Krieges zwischen Athen und Sparta. Er galt lange als Vorbild einer „objektiven“ Geschichtsbetrachtung, obwohl er die Zeit selbst erlebte und er die attische Demokratie lobt. Was die Historiografie von 1968 betrifft, so kann es hier nicht darum gehen, Namen zu nennen; zu erwähnen bleibt, dass manche heute so kritische HistorikerInnen jenes 1968 selbst mehr oder weniger Zeitgenossinnen der Ereignisse sind. Todfeinde? Objektiv?

Zu wenig ist auf die Neuauflage einer Studie hingewiesen worden, die zwei Protagonisten jener Jahre, Tilman Fichter und Siegward Lönnendonker, überarbeitet vorgelegt haben. Ihre „Geschichte des SDS. 1946–1970“ behauptet keine Objektivität, sondern ist offen parteilich, wenngleich die Bewertungen dieser oder jener SDS-Vorstandssitzung eher langatmig wirken.

Nationalsozialistische Vergangenheit

In einer Hinsicht aber überzeugt diese Insidergeschichte: Belegt sie doch glaubwürdig, dass es tatsächlich linke Studenten waren, die mit als die ersten die nationalsozialistische Vergangenheit eines nicht geringen Teils der Rechtspflege der Bonner Republik skandalisierten. Und zwar noch vor (!) der Eröffnung des von Fritz Bauer in die Wege geleiteten Frankfurter Auschwitzprozesses im Jahr 1963.

So stellte der heute noch in Berlin lebende, 1930 geborene Reinhard Strecker, Mitglied des SDS, bereits im Januar 1960 einen Strafantrag gegen ehemalige Nazi-Richter. Ein Jahr zuvor hatte der SDS die Ausstellungen umfassende Aktion „Ungesühnte Nazijustiz“ beschlossen, um NS-Juristen zur Verantwortung zu ziehen, deren Verbrechen bald verjähren würden. Der damalige Vorstand der SPD distanzierte sich von der Aktion seiner Studentenorganisation.

Die Ideengeschichtlerinnen der Bundesrepublik erörtern seit Längerem die Frage, wann und von wem denn dieser Staat intellektuell gegründet worden sei.

Horkheimer und Adorno

So hat der Bonner Politikwissenschaftler Clemens Albrecht 1999 zu belegen versucht, dass nur marxistische Remigranten wie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno das politische Ethos des Bonner Staates begründen konnten, während Jahre später – hart kritisiert und schwer umstritten – der Politologe Jens Hacke die These vertrat, dass es der in der NS-Zeit opportunistische Münsteraner Philosoph Joachim Ritter und seine Schüler gewesen seien, die die geistigen Grundlagen der Bundesrepublik gelegt hätten.

Zeitzeugen? Objektivität? Todfeinde? Mein Vorschlag, der Vorschlag eines 1947 geborenen Mannes, der jene Jahre im Ausland, in Israel verbracht hat: zu erörtern, ob die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik erst mit „1968“ und also mit dem SDS zu ihrem Abschluss gekommen ist? Dass, wenn auch auf Umwegen, der mörderische Terror der RAF diesem Konnex entsprang, muss gleichwohl nicht verwundern. Es war der eben erwähnte Joachim Ritter, der zumal die deutsche Moderne wesentlich durch „Entzweiung“ gekennzeichnet sah.

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