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Kolumne Geht’s noch?Die ganze Gier der Gaffer

Georg Löwisch
Kolumne
von Georg Löwisch

Angela Merkel zittert bei öffentlichen Auftritten. Darüber zu berichten ist richtig, sich daran zu weiden hingegen verächtlich.

Nonstop unterwegs: Angela Merkel – hier beim G20-Treffen in Osaka Foto: dpa

W er in der Politik Verantwortung trägt, muss sich befragen lassen. Prüfen lassen. Kritisieren lassen. Attackieren lassen. Karikieren lassen. Fotografieren lassen. Filmen lassen. Muss sich im Urlaub stören und sich den Schlaf rauben lassen. Das ist normal, darüber gibt es nichts zu jammern. Eine Kanzlerin bestimmt über andere. Deshalb gibt sie einen Teil ihrer eigenen Selbstbestimmtheit ab. Ob sie bei Kräften ist, geht andere etwas an. Doch es gibt Grenzen, und die sind diese Woche überschritten worden.

Am Donnerstag hat Angela Merkel gezittert. Im Schloss Bellevue verabschiedete der Bundespräsident die scheidende Justizministerin, und ernannte die neue. Während er sprach, stand die Kanzlerin neben ihm, die Arme vor dem Körper verschränkt, ihre Beine schüttelte es. Schon vergangene Woche war Ähnliches passiert, sie wartete mit dem ukrainischen Präsidenten darauf, eine Ehrenformation der Bundeswehr abzuschreiten, vorher spielte noch eine Kapelle. Merkel zitterte.

Noch mal: Darüber zu berichten ist legitim. Aber es wird eben nicht nur berichtet. Es wird gedichtet, gehöhnt und gegafft. Die Nachrichtenagentur dpa und das ZDF bringen Videos von der Szene beim Bundespräsidenten. Die Kamera zoomt auf Merkels Oberkörper, senkt sich dann abwärts, scannt sorgfältig ihre zitternden Beine. „Ganzer Körper betroffen“, stellt der Münchner Merkur fest. „Sorge: Hat die Kanzlerin Parkinson?“, fragt die Berliner Morgenpost. Die Bild bietet gleich mehrere Diagnosen unterschiedlicher Ärzte auf: ­orthostatischer Tremor. Schüttelfrost. Diabetes. Multiple Sklerose. Auf Twitter empfiehlt jemand Merkel eine berufliche Zukunft als Barmixerin – nur ein Beispiel für viele Widerlichkeiten.

Merkel wird all das aushalten. Sie hat ihr Zittern nicht im Griff. Andere Leute haben eher Hirnprobleme; beziehungsweise hapert es in der Region, wo der Anstand angesiedelt sein sollte. Das größere Übel liegt woanders: in der Botschaft, dass in der Politik nur roboterartige Figuren unterwegs sind, die nie schwach sein dürfen. Wenn doch, kann man mit ihnen alles veranstalten, inklusive Ferndiagnosen und Kamerafahrten unter die Gürtellinie. Die Demokratie leidet, wenn es so wird, dass in die Politik nur geht, wer sich dem aussetzen will: der ganzen Gier der Gaffer.

Im Übrigen scheint es für jene, die bei den Terminen anwesend waren, verblüffend klar gewesen zu sein, das Selbstverständliche nicht zu tun: die ­Zeremonie wenigstens kurz zu unterbrechen, weil es jemandem schlecht geht.

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Georg Löwisch
Autor
Viele Jahre bei der taz als Volontär, Redakteur, Reporter und Chefredakteur.
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4 Kommentare

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  • Genau, wie Rolf B. schon sagte. Und dies ist nicht der einzige Artikel in der taz, der darüber erzählt.

  • Wie alle anderen Medien, die Gaffer bedienen, liefert auch die taz eine Zitterstory. Hier nur aus der Perspektive der Bessermenschen, für die Empörten. Oder die Pharisäer.

    • @Rolf B.:

      Zitat: „Andere haben eher Hirnprobleme“

      Vermutlich. Und wie Angela Merkel haben sie offenbar (furcht-bare) Probleme mit ihren Problemen.

      Die „ganze Gier der Gaffer“ kommt ja womöglich nicht von ungefähr. Auch nicht in der taz. Die Leute fühlen, dass etwas nicht stimmt. Sie wissen bloß nicht, was es ist. Also gaffen sie. In der Hoffnung, dass ihnen jemand ihre ungestellten Fragen beantwortet.

      Ich frage mich, warum die Leute nicht einfach fragen. Vermutlich, weil sie sich auch vor dem Fragen fürchten. Wer fragt, zeig damit nämlich Schwäche. Und in einer Welt wie unserer, die das Siegen von Wölfen und Hirschen gelernt hat, kann das lebensgefährlich sein.

      Nämlich: Wer nicht führt, muss sich unterwerfen. Wer aber führt, muss damit leben, dass andere seinen „Thron“ wollen. Nicht, weil sie wüssten wo es lang geht, sondern weil sie es satt haben, zum Gefolge degradiert zu werden und schuld zu sein, wann das nicht funktioniert.

      Mag ja sein, dass es „normal“ (i.S.v. seit Jahrtausenden üblich) ist, wenn Spitzenpolitiker über andere bestimmen. Vernünftig oder auch nur artgerecht ist es aber nicht. Der Mensch hat schließlich einen Verstand. Er kann a) aus Erfahrung lernen und b) kommunizieren. Er muss nicht kommandieren. Nicht, wenn er keine Probleme mit dem Gehirn hat.

      Leider wollen vernünftige Menschen unter den gegebenen Bedingungen nur selten politische Verantwortung übernehmen. Unbedingt Kanzler sein wollen nur Leute wie Kohl oder Schröder. Angela Merkel ist da eher so rein geraten nach Kohls Koffer-Debakel. Nun hat sie ihr Amt satt.

      Rache ist und bleibt eben Mist. Wer anderen die Selbstbestimmung nimmt, darf sich nicht wundern, wenn diese Anderen (incl. Medien) sich rächen. Mittels Kritik, Störung, Attacke, Karikatur - auf Dasis des Gaffens. Alles immer noch besser, als wenn die Entmündigten blutig Revolution machen.

      Nein, es „gibt es nichts zu jammern“. Nur etwas zu begreifen. Aber wie schon ganz richtig bemerkt: Manche haben „Hirnprobleme“. Halb-Menschen...!

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    "Andere Leute haben eher Hirnprobleme"

    Und nochmal andere haben Harnprobleme. Ich finde dieses Geglotze auch unappetitlich.



    Immerhin hat sie das Elend bald hinter sich.