Kolumne Geht's noch: Vor der Bank mit Barcode um den Hals
Eine App soll anzeigen, was Obdachlose mit dem Geld machen, das man ihnen spendet? Eine ganz schlechte Idee von wohlmeinenden Wohlhabenden.
![Mann hockt auf der Straße, teils verhüllt in roter Decke. Zwei Menschen eilen vorbei, man sieht nur ihren Unterleib Mann hockt auf der Straße, teils verhüllt in roter Decke. Zwei Menschen eilen vorbei, man sieht nur ihren Unterleib](https://taz.de/picture/3162913/14/ObdachloserinLondon.jpeg)
Ein ehemaliger Oxford-Student entwickelt derzeit eine App, mit der Passanten persönliche Daten von Obdachlosen abrufen können, denen sie bargeldlos Geld gespendet haben. Die App soll nachvollziehbar machen, für welchen Zweck die Spende genutzt wird: Für warmes Essen oder eher für Alkohol oder Drogen?
Viele zögern, an Obdachlose zu spenden: „Weil sie nicht wissen, was die mit dem Geld machen,“ so Alex McCallion, der die Idee zur App „Greater Change“ hatte. Demnach soll der um eine Gabe Bittende einen Barcode um seinen Hals tragen, Passant*innen scannen diesen mit dem Smartphone ein, sehen, wofür die obdachlose Person die Spende braucht und vielleicht überweisen sie dann etwas.
Ein Mensch kann aus vielerlei Gründen auf der Straße landen, oft ist aber Sucht ein Auslöser für Obdachlosigkeit. Und auch ohne Dach über den Kopf muss ein Süchtiger Geld für Alkohol oder Drogen ausgeben. Diese sind für die Betroffenen Grundbedürfnisse wie Wasser und Nahrung, denn ein kalter Entzug kann für sie tödlich enden. Eigentlich ist Sucht eine chronische Krankheit, die moderne Medizin ist ratlos, was ihre nachhaltige Behandlung angeht, Rückfälle werden als Schicksal betrachet. Doch von der Mehrheit der Bevölkerung wird sie als Hedonismus oder Schwäche interpretiert, die nicht noch gefördert werden sollte.
Auf der Straße Geld zu sammeln ist wie Crowdfunding, und bei seriösem Crowdfunding ist Transparenz entscheidend. So nehmen global agierende NGOs wie Greenpeace oder Amnesty International Spenden ein und informieren ihre Unterstützer*innen über die Ausgaben. Bei den großen Summen, die bei den NGOs zusammenkommen, ist der Wunsch nach Nachvollziehbarkeit auch verständlich. Doch sind die Berichte dieser Organisationen in der Regel grobe Auflistungen und keine detaillierten Ansichten. Für noch mehr Transparenz in diesen Strukturen gibt es keine App.
Von Menschen ohne Wohnung zu fordern, ihre Daten mit jedem Wildfremden, der gerade vorbeiläuft, zu teilen, stärkt nur die Unterdrückungsmechanismen, unter denen Obdachlose ohnehin leiden. Die Idee, dass diese ihre Ausgaben begründen müssen, unterstützt die Ansicht, eine Spende für Lebensmittel sei okay, für Alkohol oder Drogen aber nicht, und bestätigt die Stigmatisierung von Suchterkrankten. Von Schutzmechanismen, die Datenmissbrauch verhindern sollen, spricht der Macher von „Greater Change“ nicht.
Die App „Greater Change“ bezweckt zwar, dass Obdachlosen geholfen wird, indem auf einem zweckgebundenen Konto Geld landet, mit dem die Kaution für eine Wohnung bezahlt werden kann. Viel mehr, als gut situierten Menschen ein weiteres Machtinstrument in die Hand zu drücken, schafft sie aber nicht. Sie untermauert die Tatsache, dass obdachlos Lebende auf die „Gnade“ von Wohlhabenden angewiesen sind. Auf die Idee, Obdachlose zu chippen, kommt man wohl nur, wenn man lange von Oxford aus auf die Straßen herabgeschaut hat.
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