Kolumne Fußball im Eishockeyland: Buslinie 160

Nicht der Fußball ist bisher die größte Überraschung der WM, sondern die Präriestadt Winnipeg. Hier sagen selbst die Busse „sorry“.

Hotel in Winnipeg

Zugig, aber mit großem Auftritt: Downtown Winnipeg. Foto: Doris Akrap

Als Ausländer wird man von Einheimischen immer gerne vor irgendwas gewarnt. Auch in Kanada. Obwohl hier ja eigentlich außer den Indianern, den Métis und den Inuit alle Ausländer sind. Gehen Sie da nicht hin, da ist es gefährlich. Gehen Sie dort nicht hin, dort werden Sie betrogen. Meine Gastgeber in Winnipeg rieten mir ab, mit dem Bus vom Flughafen zu ihnen zu fahren. Ich müsste mindestens drei Mal umsteigen, es würde mindestens eine Stunde dauern und man wisse nie, ob der Bus auch da halte, wo man aussteigen wolle.

Ich fuhr Taxi. Der junge Fahrer, vor zwei Jahren aus dem Punjab nach Winnipeg gekommen, telefonierte die ganze Zeit mit seinem indischen Onkel auf indisch und auch wenn ich nichtmal sein Englisch richig verstand, verstand ich, dass er nicht wusste, wohin er fahren sollte. Nach einer Stunde waren wir da. Dem indischen Onkel sei Dank.

Zum Spiel Deutschland-Thailand fuhr ich mit der Buslinie 160, die von Downton zur University of Manitoba führt, direkt gegenüber von Gate 1 des Winnipeg-Stadions. Eine 45-minütige Reise durch die ganze Stadt, auf der ich die ganze Welt im Deutschland-Trikot traf. An jeder der dutzenden Haltestellen stiegen Menschen in Deutschlandtrikots, Deutschlandfahnen und Deutschlandfarben auf den Wangen ein: vietnamesische Bauarbeiter, portugiesische Rentner, thailändische Studentinnen, ukrainische Securitys, Kinder jeder Hautfarbe.

Nur eine junge Frau behauptete, sie sei Deutsche. „Aus welcher Stadt?“ „Das weiß ich nicht. Die Schwester meiner Oma war mal da.“

Ich könnte hier problemlos behaupten, ich sei Krim-Tartarin. Nachfragen, aus welcher Stadt, würde niemand. Man würde höchstens fragen, ob die dortige Frauenfußballmannschaft auch schon mal bei einer WM dabei war.

In dieser Stadt scheint alles möglich. Und anders als ihr erster Eindruck ist sie gar nicht so engstirnig wie der Name der Provinz Manitoba (Cree für „Engpass des großen Geistes“) zu verheißen droht: . Jeder sagt sorry. Sogar auf Linienbussen, die nicht an der Bushaltestelle halten, weil sie für die WM im Einsatz sind, haben da, wo die Digitalanzeige sonst „Downtwon“ oder „Portgage Westbound“ anzeigt, ein „Sorry“ stehen.

Auch wenn sie auf den ersten Blick so ist, wie man sich eine Präriestadt eben vorstellt: staubig, verfallen, gespenstisch und arg zugig. Es passiert, dass man in Maws Beer Hall, einer von außen nach Kaschemme aussehenden Bar landet, die sich innen als prächtiger Festsaal aus den frühen Pelzhändlertagen entpuppt und in der mal eben der legendäre Jazzpianist Fred Hersh auf die Bühne steigt und mit seinem Trio kontrapunktisches Uptempo spielt.

Nicht die Schweizerinnen oder Kamerunerinnen oder thailändischen Torhüterinnen sind bisher die größte Überraschung dieser WM, sondern Winnipeg.

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Seit 2012 Redakteurin | taz am Wochenende. Seit 2008 bei der taz als Meinungs, - Kultur-, Schwerpunkt- und Online-Redakteurin, Veranstaltungskuratorin, Kolumnistin, WM-Korrespondentin, Messenreporterin, Rezensentin und Autorin. Ansonsten ist ihr Typ vor allem als Moderatorin von Literatur-, Gesellschafts- und Politikpodien gefragt. Manche meinen, sie kann einfach moderieren. Sie meint: "Meinungen hab ich selbst genug." Sie hat Religions- und Kulturwissenschaften sowie Südosteuropäische Geschichte zu Ende studiert, ist Herausgeberin der „Jungle World“, war Redakteurin der „Sport-BZ“, Mitgründerin der Hate Poetry und Mitinitiatorin von #FreeDeniz. Sie hat diverse Petitionen unterschrieben, aber noch nie eine Lebensversicherung.

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