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Kolumne Fremd und befremdlichLügen geht immer

Kolumne
von Katrin Seddig

Ein Hamburger Unternehmen bietet Krankschreibungen bei Erkältung per Whatsapp an. Ist das eine gute Alternative zum Arztbesuch?

Ist es wirklich eine Erkältung? Oder doch etwas anders? Foto: dpa

D ie Sache ist doch die, wenn man wirklich so krank ist, dass man nicht arbeiten kann und vor allem eben nicht aus dem Bett aufstehen will, dann will man eben nicht aus dem Bett aufstehen. Das ist ja das Schlechte am Kranksein, dass man aber aus dem Bett aufstehen muss, dass man sich anziehen muss, auf die kalte Straße gehen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, um sich in einen Warteraum zu setzen, zwischen lauter andere Kranke, die man noch mit den eigenen Viren versorgt, später einkaufen, zur Apotheke. Danach erst darf man dann krank sein.

Wenn man aber einfach liegenbleiben, und sich für neun Euro krankschreiben lassen könnte? Per Whatsapp? Liegenbleiben ist doch das Beste, wenn man krank ist, oder nicht? Man beantwortet ein paar Fragen, vom Bett aus, und dann sagt der Whatsapp-Arzt, man ist krank und schon ist man wirklich krank. Schön ist das, wenn man krank ist. Schön bequem und angenehm, und auch das Beste für den Kranken. Außer, wenn er eine Krankheit hat, die gar keine Erkältung ist, sondern was anderes, was Gefährliches vielleicht. Dann wäre es vielleicht besser, wenn der Arzt einen ganz schnell ins Krankenhaus schickt. Kann ein Arzt das alles einschätzen, wenn er einen gar nicht sieht?

Wie wichtig ist es, dass ein Arzt einen Patienten vor sich hat, mit seinen eigenen Augen, dass er ihm in seine Augen guckt, ihn wahrnimmt, denn irgendwie bedeutet das ja schon irgendwas, wie einer aussieht, der krank ist, oder nicht? Das findet auch der Präsident der Hamburger Ärztekammer, Perdram Emami, der das zumindest problematisch findet, wenn der Arzt eine medizinische Einschätzung trifft, ohne den Patienten gesehen zu haben.

Andererseits, welche Informationen sammelt ein Arzt zu einer Erkältung? „Haben Sie Fieber?“, fragt der Whatsapp-Arzt. „Ja, weiß nicht, nein“ kann ich antworten. Fragt der Arzt auch. Risikofaktoren, fragt der Whatsapp-Arzt. Chronische Herzerkrankung, Schwangerschaft. Ich kann erzählen, was ich will. Der Whatsapp-Arzt kennt mich nicht. Er trifft seine Entscheidungen aufgrund meiner Informationen. Wenn ich krankgeschrieben werden will, sage ich, ich habe Husten, Halsschmerzen und Fieber. Wenn ich das dem Hausarzt erzähle, dann schreibt er auch krank. Er sagt nicht, ich lüge. Er prüft nicht das Fieber nach. Lügen kann ich immer. Ich kann mich krank stellen, für ein paar Tage. Das geht. Das machen Leute.

Ich kann mich krank stellen, für ein paar Tage. Das geht
Bild: Lou Probsthayn
Katrin Seddig

ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Montagskranke gibt es in allen Firmen. Es wird halt einfacher, wenn man montags nicht aufstehen muss. Wenn man aufstehen muss, dann kann man auch gleich zur Arbeit gehen. Liegenbleiben, das ist ja der Traum. Aber geht es hier um Drückeberger? Drückeberger lassen sich nicht ausrotten, sie sind nun mal da, mit Whatsapp-Arzt oder ohne.

Aber sollte man dann vielleicht nicht gleich selbst bestimmen können, ob man sich zu erkältet für die Arbeit fühlt? Jeder halbwegs intelligente Mensch wird ja die Fragen so beantworten, dass er doch krankgeschrieben wird, ob die Antworten nun stimmen oder nicht. Es ist also sowieso dann nur eine eigene Entscheidung. Es ist die Entscheidung, gehe ich zur Arbeit oder nicht.

Wie sieht die medizinische Versorgung der Zukunft aus?

Eine Sicherheit per ärztlicher Kompetenz, dass der Arbeitnehmer dann wirklich erkältet ist, gibt es nicht. Gab es nie. Es ist nur einfacher, eine App anzulügen als einen Menschen. Und das ist vielleicht ein zu vernachlässigendes Problem. Aber wie wird unsere medizinische Versorgung in der Zukunft aussehen? In welche Richtung geht es?

Kann es nicht unter Umständen auch etwas Gutes sein, wenn diese lästigen Schnupfenpatienten in den Arztpraxen und sogar in den Notfallpraxen verschwinden, zugunsten der wirklich kranken Menschen? Oder ist das der Beginn einer bedrohlichen Entwicklung, in der ärztliche Behandlung immer anonymisierter und inkompetenter wird, in der die Beziehung zwischen Arzt und Patient keine Rolle mehr spielt und das Gesundheitswesen zu einer Art digitaler Dienstleistung wird, in der sich jeder nach Bedarf bedient, aber niemand nach seinen Bedürfnissen behandelt wird?

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2 Kommentare

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  • Zitat: "Wie wichtig ist es, dass ein Arzt einen Patienten vor sich hat, [...], dass er ihm in seine Augen guckt, ihn wahrnimmt…?"

    Tja, wie wichtig ist das mit der Wahrnehmung? Zunehmend unwichtiger, fürchte ich. Immer mehr Ärzte interessieren sich mehr für die Zahlen auf ihren Kontoauszügen und die Computer auf ihren Schreibtischen als für die Patienten, die hinter der Technik fast verschwinden. Kaum noch ein Uni-Absolvent will als Hausarzt arbeiten. Nicht mal mit staatlicher Förderung. Patienten stören oft, wenn sie sich denn zum Doktor schleppen. Und zwar nicht allein die, die mit ihnen im Wartezimmer hocken.

    Wer einen „modernen“ Arzt hat, der ist genau so gut mit einem WhatsApp-Arzt bedient. Wenn nicht sogar noch besser. Vielleicht aber ist er am allerbesten mit einem automatischen Programm dran. Denn das fühlt sich selten belästigt oder gar missachtet. Etwa, weil der Patient eine eigene Meinung mitbringt.

    Eine medizinische Einschätzung treffen, ohne den Patienten wirklich kennengelernt zu haben, kann ein Programm jedenfalls auch. Vermutlich sogar mit ähnlich hoher Fehlerquote. Drückeberger lassen sich nicht ausrotten. Weder von Programmen noch von echten Menschen. Nicht unter Angestellten und auch nicht unter Ärzten. An Montagen oder am Aschermittwoch gibt es sie noch mehr davon als an anderen Tagen. Und ganz oft gibt es sie, wo Mensch und Job nicht gut zusammen passen.

    Wer sich entschieden hat, nicht arbeiten zu wollen, der braucht das heutzutage auch nicht mehr zu tun. Mit Fieber nicht und auch nicht ohne. Ob er dabei im Bett bleibt oder sich an seinen Arbeitsplatz begibt, ist wieder eine andere Frage.

    Unser Gesundheitswesen scheint im Übrigen schon länger auf dem Weg zurück zu sein. Da hin, wo andere Bereiche bereits wieder sind: Im Manchester-Kapitalismus. Da, wo sich wenige ganz nach Bedarf bedienen, und viele nicht nach ihren Bedürfnissen behandelt werden. Echt krank, dieses System! Und nirgendwo ein Arzt in Sicht!

  • Die Liberalisierung des Gesundheitswesens ist bereits weit fortgeschritten.



    Die großen Gesundheitsreformen des Philipp Rösler haben doch das Klima maßgeblich verändert.