Kolumne Fremd und befremdlich: Wir werden uns einmischen müssen
Darf man Gesetze ändern, um die AfD auszuschließen? Das ist eine sehr schwierige Frage. Für mich allein weiß ich, was ich tun muss: Ich bin zuerst meinem Gewissen verpflichtet.
D ie Alternative für Deutschland (AfD) ist so etwas wie das Kind in der Familie, von dem sich der Rest der Familie insgeheim wünscht, es würde nicht dazugehören. Es ist das Kind in der Familie, das immer wieder Dinge tut, die den Rest der Familie sich die Hände vor das Gesicht schlagen lässt.
Wir sind abwechselnd beschämt, empört, verzweifelt, wir wollen mit diesem Kind nichts zu tun haben. Wir sagen: Es gehört nicht zu uns. Aber wie man es dreht und wendet, es ist unser Kind, ein Kind unserer Demokratie, unseres Landes. Es sind unsere Nachbarn, unsere Verwandten, die die AfD gewählt haben, die sie unterstützen oder sogar Mitglied sind.
Ich kenne einen AfD-Wähler persönlich. Ich möchte gerne glauben, dass er beim nächsten Mal, nach allem was wir wissen, nicht noch einmal die AfD wählen wird. Menschen sind so komplizierte Wesen. Aber die Motive ihres Handelns sind oft so schlicht und beschämend.
Wie gehen wir, wie gehe ich mit der Tatsache um, dass die AfD einen Teil Regierungsmacht auch über mich erhalten hat, aufgrund einer demokratischen Wahl? Was ist diese Demokratie mir wert, wenn sie doch auch, am Ende, zum Faschismus führen kann? Zu einem System, das der Demokratie entkleidet worden ist. Denn so funktioniert das, schleichend. Erst bedient man sich der Demokratie, um sie dann zu vernichten.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ ist kürzlich bei Rowohlt Berlin erschienen.
Die Stiftung der niedersächsischen Gedenkstätten kümmert sich, zum Beispiel, um den Erhalt des Konzentrationslagers Bergen-Belsen im Kreis Celle, in das das Mädchen Anne Frank gebracht wurde. Fast jedes Kind kennt Anne Frank aufgrund ihres Tagebuches, aufgrund einer Schulbildung, die die Erinnerung an Konzentrationslager wachhält.
Die Stiftung der niedersächsischen Gedenkstätten soll eben jene Erinnerung bewahren. Am 4. März wird es eine Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Deportation von Sinti und Roma nach Auschwitz geben. Wenn man möchte, dann kann man sich auf einer der Veranstaltungen darüber informieren, wie Kinder aus der Schule geholt, und gemeinsam mit ihren Eltern von Bergen-Belsen zu ihrer Ermordung nach Auschwitz gebracht worden sind.
Der Bundestagsabgeordnete der AfD, Wilhelm von Gottberg, hat im Ostpreußenblatt einen italienischen Neofaschisten zitiert, nach dem der Holocaust ein Mythos wäre. Dem hätte er nichts mehr hinzuzufügen. Das AfD-Mitglied Wolfgang Gedeon darf aufgrund der in seinem Buch vertretenen Ansichten offiziell als Holocaustleugner bezeichnet werden. Das hat das Landgericht Berlin entschieden.
Katrin Seddig liest am 20. Februar um 19.30 Uhr im Kulturhaus 73 in Hamburg aus "Seddigs Sammelsurium"
Björn Höcke hat das Holocaust-Denkmal in einer Rede ein „Denkmal der Schande“ genannt. Wie auch immer er dort missverstanden sein wollte, was sich schwer missverstehen lässt, ist seine in diesem Zusammenhang stehende Aussage, dass er bedauere, dass „die deutsche Geschichte mies und lächerlich gemacht (werde). So kann es und darf es nicht weitergehen“.
Dies sind Beispiele zur Einstellung einiger AfD-Mitglieder zum Holocaust. Keiner der zitierten AfD-Mitglieder ist aufgrund dieser Äußerungen aus der Partei ausgeschlossen worden. Und nun soll also ein Mitglied der AfD im Stiftungsrat für die niedersächsischen Gedenkstätten sitzen.
Die Überlebendenverbände sind nicht einverstanden, sie wollen mit Angehörigen einer Partei, die solche Mitglieder duldet, nichts zu tun haben müssen. Die Landesregierung überlegt, das Gedenkstättengesetz zu ändern, so, dass die AfD keinen Platz mehr hätte. Ist das richtig? Gesetze ändern, damit sie einem in den Kram passen? Und was ist, wenn die AfD stärker wird? Das Gesetz noch einmal ändern? Ist es legitim, rechtsstaatliche Mittel anzuwenden, die man unter anderen Umständen nicht anwenden würde?
Es ist sehr, sehr schwierig. Für mich allein weiß ich, was ich tun muss. Ich weiß, wem ich verpflichtet bin; zuallererst meinem Gewissen. Denn Gesetze sind, wie alles Menschengemachte, voller Lücken. Wir werden noch viel überlegen und diskutieren müssen. Wir werden uns alle noch sehr einmischen müssen. Denn das Schädlichste sind nicht die Fehler, die wir machen, sondern die Gleichgültigkeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich