Kolumne Freitasgscasino: Der große Selbstbetrug
Warum es den Eliten dann am besten geht, wenn die Krise am größten ist.
Was sind schon eine Milliarde Euro? Der Betrag, den die Hoteliers künftig sparen, wenn sie nur noch den niedrigen Mehrwertsteuersatz zahlen, erscheint wie eine Bagatelle. Aber diese eine Milliarde Euro sind ein Symbol. Sie signalisieren in aller Deutlichkeit, dass Schwarz-Gelb reine Klientelpolitik betreibt.
Klientelpolitik hat es zwar schon immer gegeben - aber bisher wurde meist versucht, sie als Allgemeinwohl auszugeben. So viel Angst hatte man noch vor dem gemeinen Wähler. Doch neuerdings wird die Selbstbedienung seitens der Eliten ganz offen zugegeben. Die Koalition war gar nicht erst bemüht, die Wohltat für die Hoteliers näher zu begründen. Es ist so krass, wie es aussieht: Die Wirte wollten mehr verdienen, und dieser Wunsch wurde umstandslos erfüllt.
Was der CSU die Hoteliers sind, das sind der FDP die Ärzte und Spitzenverdiener. Auch von Liberalen gibt es dazu inzwischen die erstaunlichsten Äußerungen. So forderte der neue Gesundheitsminister Philipp Rösler kürzlich in der Süddeutschen Zeitung erst eine teils steuerfinanzierte Kopfpauschale für die Krankenkassen, um gleich darauf generelle Steuersenkungen zu verteidigen. Diese Ziele sind eigentlich unvereinbar und dürften Milliardenlöcher in den Haushalt reißen. Doch zur Finanzierung sagte Rösler nur: "Wir setzen darauf, dass die Steuersenkungen Wachstum und somit höhere Einnahmen bringen." Dieser Trick hat zwar noch nie funktioniert - aber das macht ja nichts, solange die Spitzenverdiener profitieren.
Bekanntlich hat jedes Volk die Regierung, die es verdient. Schwarz-Gelb scheint offenbar zu glauben, dass ihre Klientelpolitik von den Wählern akzeptiert wird und die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im nächsten Mai nicht gefährdet. Diese Einschätzung mag sogar stimmen - aber nicht etwa, weil die Bürger so begeistert wären vom schwarz-gelben Kurs. Stattdessen scheinen immer mehr Deutsche in eine unpolitische Wut zu verfallen, wie die jüngste Studie des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer zeigt. Sie ist es wert, noch einmal etwas ausführlicher dargestellt zu werden.
Seit 2002 läuft Heitmeyers Langzeitprojekt "Deutsche Zustände", bei dem jährlich 2.000 Personen befragt werden, um ihre Einstellungen zu Minderheiten zu ermitteln - zu Juden, Muslimen, Homosexuellen, Obdachlosen oder auch Aussiedlern. Neu war in diesem Jahr, dass zusätzlich auch erhoben wurde, wie die Bundesbürger auf die Finanzkrise reagieren.
Dabei zeigte sich bei den Befragten eine ganz eigenartige "Aufspaltung" ihrer Einschätzungen, so Heitmeyer. 38 Prozent fühlen sich durch die Finanzkrise "persönlich betroffen". Fasst man die Frage weiter, glauben 46 Prozent, ihre Lebensplanung sei durch die Krise "bedroht". Gleichzeitig geben rund 81 Prozent an, dass "Leute wie ich" für die Fehler der Wirtschaft und Politik geradestehen müssten. Entsprechend glauben auch nur noch knapp 10 Prozent, es ginge "gerecht zu auf der Welt". So weit, so klar. Doch dann wird es seltsam, denn gleichzeitig sagen 77 Prozent: "Mein Leben verläuft im Großen und Ganzen gerecht." Und 70 Prozent stimmen der Aussage zu, "Ungerechtigkeiten sind in meinem Leben eher die Ausnahme". Entweder hat man es hier also mit einem Fall von "German Angst" zu tun, wie unsere europäischen Nachbarn die Neigung der Deutschen beschreiben, sich auch dann Sorgen zu machen, wenn es prächtig läuft. Oder aber die Befragten lügen sich ihre Situation schön, weil sie es emotional gar nicht ertragen könnten, sich einzugestehen, dass der Abstieg droht.
Für diese zweite Lesart spricht ein weiterer eigenartiger Befund in Heitmeyers Studie. Ausgerechnet von jenen Menschen, die sich selbst bedroht fühlen durch die Finanzkrise, sagen fast 65 Prozent: "In Deutschland müssen zu viele schwache Gruppen mitversorgt werden." Besonders verachtet werden die Langzeitarbeitslosen - und zwar gerade von der Unter- und unteren Mittelschicht, die ihnen am nächsten sind.
Rational wäre es, gesamtgesellschaftliche Solidarität einzufordern, wenn man sich bedroht fühlt. Schließlich könnte man demnächst selbst hilfsbedürftig sein. Stattdessen grenzt man sich nach unten ab, während man auf dem Weg nach unten ist - um sich einzubilden, die eigene soziale Position sei noch stabil.
Das Ergebnis dieser ambivalenten Gefühle sei eine "hoffnungslose Unzufriedenheit", wie Heitmeyer es nennt. Einerseits ist die Wut enorm, andererseits wird weitgehend darauf verzichtet, sich politisch zu engagieren. Zu diesem Phänomen gehört auch, dass die Beteiligung an der vergangenen Bundestagswahl nur noch bei knapp 71 Prozent lag und damit ein neues Rekordtief erreichte. Dabei hätte man denken können, dass die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit die Wähler an die Urne treiben würde. Doch die meisten Wähler pflegen ja die Fiktion, dass es in ihrem Leben gerecht zuginge. Daraus ergibt sich durchaus logisch, dass ein Urnengang nicht nötig ist. Wozu eine Welt verändern, wenn sie die beste aller denkbaren ist?
Diese Apathie ist für die Eliten erfreulich, die nicht länger bei ihrer Klientelpolitik gestört werden, wenn die Unterschichten auf ihr Wahlrecht verzichten. 2009 konnte sich Schwarz-Gelb daher in aller Ruhe um die Interessen von Hoteliers, Bauern, Erben und Unternehmern kümmern. Fragt sich nur, was ab 2010 ansteht? Die Liberalen kündigen ein neues Steuersystem an, das "einfach, niedrig und gerecht" sein soll. Übersetzt: Die Eliten werden noch stärker entlastet, denn etwa die Hälfte aller Steuerpflichtigen zahlt keine Einkommensteuer mehr, weil sie so wenig verdienen.
Dieser Plan könnte zwar daran scheitern, dass die überschuldeten deutschen Staatshaushalte schon jetzt nicht mehr den EU-Vorgaben entsprechen. Aber von den Wählern ist kein Widerstand zu erwarten. Je stärker sich die Finanz- und Wirtschaftskrise bemerkbar macht, desto mehr werden sich die Bürger gegen ihren Abstieg stemmen, indem sie sich einreden, dass sie nicht zu den Verlierern zählen. Der widersprüchliche Trend wird sich also verstärken, dass die politische Abstinenz steigt, je desolater die Lage wird. Wer hätte das gedacht: Den Eliten geht es am besten, wenn die Krise am größten ist.
Leser*innenkommentare
Martin
Gast
Ein Bekannter von mir besitzt ein kleineres Hotel und erhält also nun ab 2010 jährlich so einige hunderttausend Euro quasi geschenkt. Zugleich muss man leider daran denken, öffentliche Bibliotheken und Schwimmbäder zu schliessen, denn das Geld muß ja von irgendwo her kommen. Ein einfacher und deutlicher Zusammenhang: die einen dürfen nicht mehr schwimmen, damit andere im Geld schwimmen. Jeder Monopoly-Spieler weiß es doch, dass man sich Hotels kaufen muß! Einen Wellness-Hotelurlaub für die lieben CDUCDSFDP-Politiker gibt es nun von Seiten einiger Hotels als Anerkennung und Geschenk.
Uwe Brauner
Gast
Leider kann man den Artikel - und vermutlich alle anderen auch - nicht versenden, weil das Feld dafür nicht vollständig geöffnet wird. Bitte verbessern Sie die Situation. Danke!
MFG Uwe Brauner
Amos
Gast
Was für Eliten? Das sind Selbstbereicherungs-Taktiker,die sich nur als Eliten fühlen können, weil das "dumme Stimmvieh" zur Urne geht und sich weiterhin von diesen lackierten Affen an der Nase herumführen lässt.
Amos
Gast
Die Politik sitzt in der Wirtschaft und die Wirtschaft in der Politik. Und was dabei raus kommt
sind Krümel fürs Volk. Man schaue sich nur einige
Abgeordnete an, die sich demnächst die Diäten erhöhen wollen: W. Riester 53 Arbeigeber, Westerwelle 29, Merz 21, Riesenhuber 21, usw. Wo bleibt da noch Zeit für die Volkvertretung. Die Politik dient nur noch zur Selbstsanierung.
anke
Gast
@Amos:
Verstehe ich das richtig, Freund Amos? Würde Angele Merkel noch sichtbarer als bisher schon Klientelpolitik betreiben, wäre das gut. Dann nämlich würde sie regieren. Genauer gesagt: Sie würde führen, und Führung muss sein, Allgemeinwohl hin oder her.
Man soll ja das Einzelne nicht für ein Prinzip nehmen, aber ich fürchte, Menschen wie Sie gibt es zu viele. Wenn überhaupt verschwenden sie ihre Wut auf Themen, die seit mindestens 70 Jahren überholt sein sollten. Besonders unpolitisch kann ich das nicht finden.
@Ulrike Herrmann:
Ich fürchte, Frau Herrmann, es ist weder die "German Angst", mit der es Wilhelm Heitmeyer zu tun hatte, noch ein anderes emotionales Desaster. Die meisten Menschen sind sich der Widersprüche, die sie mit ihren Aussagen produzieren, gar nicht bewusst. Sie denken nicht, können also unmöglich lügen.
Ich finde, Frau Herrmann, das ist auch gar kein Wunder. Schließlich: Wann kommt jenen 81%, die "Leute wie ich" sind, schon ein Heitmeyer unter? So gut wie nie. Wissenschaftliche Studien lesen sie nicht, Unis halten sie für Flatrate-Puffs und Sonntagsreden mit anschließendem 6-Gänge-Austern-Hummer-Champagnermaus-Menü gehen ihnen auch am Arsch vorbei. Die Heitmeyers dieser Republik treffen sie höchstens am Bockwurststand, und da hängen sie schweigend ihren Erinnerungen an das goldene Jahr '68 nach. Sie sind eben uch nur Menschen, die Heitmeyers dieser Republik. Menschen, die vollkommen irrational handeln, indem sie, wenn sie sich bedroht fühlen, unser aller Solidarität einfordern, die Bereitschaft zum Geben aber selbst in Zeiten, in denen sie eigentlich nicht klagen sollten, ganz deutlich vermissen lassen. Die Abgrenzung nach unten ist kein standesgebundenes Phänomen, Frau Herrmann. Das aktuelle Hoch der Klientelpolitik ist dafür ein ziemlich deutlicher Beleg, finde ich.
Amos
Gast
Das liegt daran, dass Merkel nicht regiert.Sie sonnt
sich in ihrem "Kanzler-Status" und das war es auch schon. Regieren tun die anderen. Man hat sie bereits durchschaut und spricht schon von einem ferngesteuerten Hosenanzug.Jetzt da sie sich von der SPD getrennt, regiert sie überhaupt nicht mehr.
Wenn man eine Null ist muss man sich zumindest die
Diäten erhöhen (2010) damit es so aussieht als würde man gute Arbeit leisten.