Kolumne Feindliche Übernahme: Die "Perle" Hochtief
Der marode spanische Baukonzern ACS kauft Hochtief. Wieder fällt ein deutsches Traditionsunternehmen den Heuschrecken zum Opfer. Schlimm. Oder?
M it den Heuschrecken ist es so wie mit Mundgeruch: Den haben immer die anderen. Oder eben: Das sind immer die anderen. Heuschrecken, das sind skrupellose, geldgeile und vor allem: ausländische Unternehmen, deren Manager noch nie von Ludwig Erhard gehört haben und die sich einen Dreck um soziale Verantwortung scheren, die, wie einst Franz Müntefering dichtete, schwarmartig über Unternehmen herfallen, sie abgrasen und weiterziehen. Über anständige, florierende deutsche Unternehmen, versteht sich.
Ursprünglich für Finanzinvestoren reserviert, gilt Münteferings Insektenmetapher längst für alle Gestalten des bösen Kapitals. So auch für den maroden spanischen Baukonzern ACS, der zum deutschen Bedauern nun kurz davorsteht, Hochtief zu schlucken und sich, so die Befürchtung, durch die Zerschlagung sanieren will.
Das Opfer dieser feindlichen Übernahme: ein "deutscher Traditionskonzern" (Süddeutsche Zeitung) und "leidlich guter Arbeitgeber" (Frankfurter Rundschau), mithin eine "Perle des deutschen Unternehmensbestandes" (Sigmar Gabriel), der trotz des "tapferen Widerstands" (Welt am Sonntag) der Unternehmensführung dem "Angriff der Spekulanten und Heuschrecken" (Westdeutsche Allgemeine) erlegen ist.
Dass der laut Eigenwerbung "internationalste Baudienstleister der Welt" 85 Prozent seines Umsatzes im Ausland erwirtschaftet und nur etwa jeden sechsten seiner 66.000 Arbeiter in Deutschland beschäftigt, die Rede von dem "Essener Baukonzern" also nicht viel mehr als Ruhrpott-Folklore ist - geschenkt.
DENIZ YÜCEL ist taz-Redakteur.
Aufschlussreicher ist da schon, das Gebaren dieser "Perle" genauer zu betrachten: In Hamburg etwa, wo sich der Senat gerichtlich zur Wehr setzte, entnervt von den Tricks und Erpressungsversuchen beim Bau der Elbphilarmonie. Oder in München, wo die Staatsanwaltschaft gegen mehrere Manager des Konzerns ermittelt, weil sie auf einer Baustelle 37 Arbeiter zu Stundenlöhnen von 2,50 bis 3,50 Euro beschäftigt haben sollen.
Wenn Hochtief eine Perle ist, dann eine von der Sorte, die getrost vor die Säue gehen kann.
Und selbst wenn ACS mit Hochtief so rücksichtslos verfährt, wie es der Betriebsrat befürchtet - die Spanier täten nichts anderes, als deutsche Firmen ihrerseits gern im Ausland tun: Auch BASF oder Linde waren nicht zimperlich, als sie in den vergangenen Jahren den US-Katalysatorenhersteller Engelhard beziehungsweise das britische Industriegasunternehmen BOC kauften - "Übernahmeschlachten", die hierzulande entweder nicht beachtet oder wohlwollend als Ausdruck der Wettbewerbsstärke deutscher Unternehmen zur Kenntnis genommen wurden.
Und selbst da, wo sich deutsche Firmen einvernehmlich einkauften, wurde es hinterher ungemütlich: Bei Chrysler etwa, wo Daimler 26.000 Jobs strich und sechs Werke schließen ließ. Dass sich die Sache dennoch genauso wenig rentiert hat wie der Einstieg von BMW bei Rover, ist eine andere Geschichte, die damit zu tun hat, dass deutsche Firmen lieber auf Nummer sicher gehen und zyklisch statt antizyklisch kaufen und verkaufen.
Trotzdem ist die Aufregung von Belang. Weil sie nicht nur ein Ausdruck von Standortnationalismus ist, sondern auch dafür, dass man in Deutschland den Kapitalismus für eine Veranstaltung zur Schaffung von Arbeitsplätzen, deutsche Unternehmer für Wohltäter und den "sozialen Frieden" für das allerhöchste Gut hält. Darum ist Deutschland das Land in Europa, wo am wenigstens gestreikt wird und die Reallöhne in den letzten zehn Jahren am stärksten gesunken sind. Wer also die Interessen von Lohnabhängigen verteidigen will, möge dies an der richtigen Stelle tun.
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