piwik no script img

Kolumne Einfach gesagtDas Ego-Universum expandiert

Jasmin Ramadan
Kolumne
von Jasmin Ramadan

Mit Exhibitionismus, Voyeurismus und Neid lässt sich sehr viel Geld verdienen und so hat der Kapitalismus die Welt noch ein bisschen mehr verhext.

Führt die harmlos alberne Selfie-Kultur wirklich zur Aufhebung der Überzeugung, dass Eigenlob stinkt? Foto: dpa

E igenlob stinkt nicht mehr und deshalb geht die Welt zugrunde!“, wütete der alte Mann im eleganten Mantel. Die zwei jungen Mädchen, die sich am Spielbudenplatz an der Hamburger Reeperbahn vor dem Panoptikum für ein Selfie positionierten, ignorierten ihn wie Mütter ihre schreienden Kleinkinder. „Nun regen Sie sich mal ab“, sagte ein Junge, der zu den beiden gehörte.

„Reg du dich lieber mal auf, Jungelchen!“ „Worüber denn?“ Er streckte sich ausgiebig, sodass die kurze Jacke seinen durchtrainierten Bauch freilegte. Der alte Mann zeigte drauf und schüttelte den Kopf. „Über die ganze schamlose Eitelkeit!“

„Wer bist du denn, Alter?“ fragte eines der Mädchen und richtete ihr Smartphone auf ihn. „Ich bin einer, der sein kann, ohne dafür in ein Telefon zu gucken, du Göre!“ „Ey geil, Alter, ich mach ’ne Live-Story mit ihm!“ Der alte Herr nutzte seine Chance: „Eigenlob stinkt gewaltig, das führt zu gar nichts oder zu Riesenbockmist! Nichtsnutzige Narzissten bekommen en passant immer mehr politische Macht und bevor ihr so alt seid wie ich, seid ihr längst tot, weil so ein Protzer die Welt in den Abgrund geführt hat!“

Die Kids lachten.

Als ich früher mit meiner Oma das Panoptikum besuchte, um die wächsernen Figuren von Prominenten zu bestaunen, passierte etwas Ähnliches wie heute beim Konsum von Instagram. Ich starrte und starrte, doch das Vergnügen blieb kurz und endete in einem Gefühl der Trostlosigkeit.

Bild: Roberta Sant‘anna
Jasmin Ramadan

ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. Alle zwei Wochen verdichtet sie in dieser taz-Kolumne tatsächlich Erlebtes literarisch.

Hatte der Mann recht? Hatte die zunächst harmlos alberne Selfie-Kultur tatsächlich zur Aufhebung der alten goldenen Überzeugung, Eigenlob stinkt, geführt? Lag die größte Gefahr im neuen Weltruhm hohler Egozentrik?

Zu Beginn von Facebook waren sich viele einig. Es sei peinlich, wenn die Leute sich und ihr Treiben ins beste Licht rückten und nach Bestätigung durch Likes gierten.

Dann kam Instagram. Der ganze Quatsch galt bald als cool und das neue Ego-Universum expandierte. Die Menge der Likes nahm zu und es entstand eine neue Währung. Lob gegen Lob. Was wem wirklich gefällt, bleibt unklar.

Was der alte Mann vermutlich nicht weiß: Wer bei Instagram postet, macht sich selbst zur Ware und man kann mit einem Hintern Millionen verdienen. Ohne Anfassen. Da wirkt #metoo wie ein Furz im Wind. Und Sierra Sky Egan ist dort nur eines unter etlichen neureichen Nackedeis.

Mit Exhibitionismus, Voyeurismus, Bewunderung und Neid lässt sich sehr viel Geld verdienen und so hat der Kapitalismus die Welt in jüngster Zeit noch ein bisschen mehr verhext. Was dabei zum Himmel stinkt oder zu Grunde geht ist einerlei, solange der Rest sich gut verkauft und Spaß macht. Das hat längst Tradition.

Der alte Herr wollte nun auch mal ins Handy sehen:

„Guck mal an, der Mantel, den hab ich schon seit 40 Jahren und er sieht immer noch prima aus, so eine Qualität wird gar nicht mehr hergestellt! Und jetzt lösch das wieder!“

Das Mädchen sagte:

„Stimmt, Alter, haben auch schon viele kommentiert, dass der Mantel krass schön ist. Soll ich es trotzdem löschen?“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Ach der Kapitalismus war's. Na das muss einem doch gesagt werden...