Kolumne Die eine Frage: Habeck oder Trittin?
Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber dies ist unsere, hat Jean-Paul Sartre gesagt. Aber was heißt das für die Grünen im entscheidenden Jahr 2017?
I mmer muss ich an das Kasperle im Kasperletheater denken, wenn Anton Hofreiter sich aufregt. Oder so tut, als rege er sich auf. Dann wackelt sein Kopf kantig vor und zurück, und der Körper zuckt mit, und zwar im Takt, den seine durch die Luft hämmernde Faust vorgibt. So lange, bis er mit einem donnernden „Liebe Freundinnen und Freunde“ abbindet. Danach lächelt der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion und wird wieder weich.
Genauso zu sehen beim Berliner Forum der Grünen-Urwahl, mit der die Mitglieder ihre beiden Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl bestimmen. Es war aber auch eine zu schöne Erregungschance, die ihm Robert Habeck gegeben hatte, stellvertretender Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und Mitbewerber.
„Welchen Posten wird denn Jürgen Trittin in der kommenden Bundesregierung haben?“, hatte Habeck ihn lächelnd gefragt. Da lederte Hofreiter aber so was von los, dass „Personalfragen“ jetzt überhaupt nicht zur Debatte stünden. Möglicherweise waren beide Kandidaten befeuert von einer Spiegel-Story über den Göttinger Bundestagsabgeordneten, mit der das Magazin die Partei ein weiteres Mal vor sich her treiben wollte.
Habecks Frage nach Trittin hielten einige für eher nicht smart. Weniger, weil es in Hofreiters Zuständigkeit fiele, den linken Flügelkollegen und Vorgänger ruhigzustellen. Mehr in der Richtung: Wozu bringt man auch hier noch den krachend gescheiterten Spitzenkandidaten von 2013 ins Spiel, der längst seinen Ehrenplatz in der politischen Geschichte der Bundesrepublik hat? Das Frappante ist, dass gerade Spitzengrüne immer noch Angst vor Trittin zu haben scheinen. Vielleicht, weil er einfach gut ist, in dem, was er macht. Die Frage ist, ob es auch gut für die Grünen ist.
Hopp oder topp
Ich bin nicht allein mit meinem Gefühl, dass 2017 für die Welt und Europa entscheidende Bedeutung haben wird. Dass es auch für die Grünen hopp oder topp heißen kann. Vor allem für die sozialökologische Zukunft. Gerade, weil sie noch weniger als sonst im Vordergrund steht, braucht es in der EU Machtprojekte, deren Teil sie ist.
Robert Habeck hat seine Kandidatur als Spitzenkandidat mit einer pathetischen Formel begründet, deren Tragweite vielen zunächst nicht auffiel. Manchen bis heute nicht. „Es ist unsere Zeit“, sagte er erstmals bei seiner Bewerbungsrede vor seiner Landespartei. Und dann so oft, dass es jetzt der Titel des Programms ist, mit dem die Grünen ins Wahljahr gehen.
Es heißt eben nicht, dass die grüne Zeit da wäre. Der Pariser Existenzialist Jean-Paul Sartre hat am besten auf den Punkt gebracht, was Habeck meint, als er sagte: „Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber dies ist die unsere.“
Physik und Biologie
Das ist nicht trivial, sondern fundamental. Es ist keine theoretische Frage von links oder rechts, sondern von Physik und Biologie. Wir haben keine andere Zeit. Und wir kriegen keine andere, wenn wir uns nicht darum kümmern.
Robert Habecks Ansatz ist das Gegenteil der alten Grünen-Kultur, die Jürgen Trittin bis in Jahr 2017 getragen hat. Nicht jetzt, nicht so, nicht mit denen. Am besten ist es, wenn ein AKW explodiert und es allen schlecht geht. Dann sehen sie mal, dass die Grünen es besser wissen. Der – die Grünen überschätzende – Habeck-Ansatz ist, dass keiner eine gute Zukunft hat, wenn die Grünen es nicht gemeinsam angehen. Also flügelübergreifend. Im politischen Interessenausgleich mit Andersdenkenden. Für die ganze Gesellschaft. Ohne Moralhierarchie. Jetzt.
Cem Özdemir, Anton Hofreiter oder Robert Habeck – wer immer in der nächsten Woche die Urwahl bei den Grünen gewinnen mag: Die entscheidende Frage lautet, ob künftig das Prinzip Habeck das Prinzip Trittin ersetzt.
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