Kolumne Die eine Frage: Das neue grüne Wir
Der künftige Bundespräsident von Österreich hat der antieuropäischen Stimmung getrotzt. Was können die deutschen Grünen von ihm lernen?
A ls der österreichische Bundespräsidentenkandidat Alexander Van der Bellen am Sonntagabend im Triumph in die Wiener Sofiensäle einzog, spielten sie „We Are the Champions“ von Queen. Und was sagt uns das? Es sagt uns, dass er gewonnen hat. Klar, ein Classic-Grüner hätte mit kulturellem Distinktionsbewusstsein „Pata Pata“ von Miriam Makeba gewählt. Aber der hätte halt nicht mal die Stichwahl erreicht.
Jetzt könnte man sagen: Van der Bellen ist doch gar kein Grüner, sonst hätte er die Wahl ja nicht gewonnen. Das wäre für alle ideal, die nicht wollen, dass Grüne jenseits von Baden-Württemberg als Orientierungspartei die zentralen Fragen der Gegenwart bearbeiten. Es hieße im Umkehrschluss: Richtige Grüne sind Verlierer, deren Erfüllung es ist, wie im Land Berlin hinter der Linkspartei zu landen, um als Nummer 3 in einer anachronistisch-sozialdemokratisch tickenden Koalition mitwurschteln zu dürfen. Die entscheidende Frage für die Partei vor der Bundestagswahl lautet also: Wozu Grün im Jahr 2017?
Er setze auf die „Vernunft“, sagte Alexander Van der Bellen mir vor der Wahl.
Ich sagte: „Ja glauben Sie denn, dass die Vernunft mehrheitsfähig ist?“ Worauf er antwortete: „Ja. Noch.“
Alexander Gauland galt als kluger Konservativer, mit dem Linke gern debattierten. Nun dirigiert er die AfD immer weiter nach rechts – und will so in den Bundestag. Warum er sich so entwickelt hat, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 10./11. Dezember 2016. Außerdem: In der deutschen Hackerszene tobt ein Kampf um Sex, Moral und Macht. Ein Netz-Krimi. Und: Eine Begegnung mit der marokkanisch-französischen Autorin Saphia Azzeddine. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Und tatsächlich hat er mit einem fast perfekten Wahlkampf und einem Gespür für die Grenzen von anderen eine Mehrheit der Vernunft zusammengebracht: Pro EU und für die offene Gesellschaft. Und auch wenn das im Wahlkampf keine Rolle gespielt hat, so steht dieser Bundespräsident jetzt auch für die sozialökologische Transformation als zentralen Kern einer gerechteren gemeinsamen Zukunft.
Mit dem Janker übers Dorffest
Man kann über Österreichs Grüne sagen, was man will, aber sie haben die historische Chance genutzt. Und nicht vorbeiziehen lassen. Sie haben sich untergeordnet unter ein größeres Ziel, sich einen ewigen Wahlkampf lang die moralischen Oppositionsausrufezeichen verkniffen, auch wenn es richtig hart war, etwa bei der Schließung der Balkanroute.
Ja, aber: Wozu dann noch Grün?
Van der Bellen hat eine Antwort gegeben, indem er liberale Europäer vor einem antieuropäischen, antiliberalen, antisozialökologischen österreichischen Bundespräsidenten bewahrt hat. Diesen Job müssen nicht die Grünen übernehmen. Es böte sich halt an.
In Österreich kann man auch sehen: Wer rechts schlagen will, muss von halb rechts Wähler holen und darf nicht die Mitte nach rechts verschieben, so wie das moralische Linkspopulisten, kurz: Mopulisten, wie der Journalist Jakob Augstein mit dem Kampfbegriff „rechte Grüne“ versuchen.
Van der Bellen hat sich einen Janker gekauft und ist darin über die Dorffeste gezogen. Das war ein Zeichen der Wertschätzung der Kultur der anderen. So baute er Vertrauen auf – gegen diesen Habitus, von anderen immer nur das Schlimmste anzunehmen. Der zentrale teilgesellschaftliche Paradigmenwechsel, für den Van der Bellen steht, ist sein Patriotismus. Dies ist unsere Gesellschaft, unsere Verfassung, unsere Demokratie, unser Europa. Und nun müssen wir nach den gemütlichen Jahren im gefühlten Widerstand zum ersten Mal kämpfen – und zwar dafür und mit möglichst vielen zusammen. Nicht gegen möglichst viele.
Mit dieser Haltung hat Alexander Van der Bellen eine neue Mehrheit gewonnen und damit auch die überkommenen Zuordnungen rechts und links überwunden. Es sind Grüne, Liberale, Linke und Konservative, die ihn gewählt haben, um als Allianz gegen rechts die offene Gesellschaft und die Möglichkeit einer guten Zukunft zu verteidigen. Die Kraft eines progressiven Spitzenpolitikers bemisst sich nicht an der Radikalität seiner Positionen. Sie bemisst sich daran, ein Wir schaffen zu können, das über die Partei hinausweist.
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