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Kolumne Die eine FrageGestern-rechts gegen Gestern-links

Die einen nach hier, die anderen nach dort: Warum wollen Sie die Gesellschaft spalten, Sigmar Gabriel? Über den Lagerkoller des SPD-Vorsitzenden.

Sigmar Gabriel verfasste einen unglaublichen Essay im „Spiegel“ Foto: dpa

D as Problem der SPD ist nicht Sigmar Gabriel. Der derzeitige Parteivorsitzende ist nur die Folge des Problems und seine Personifikation. Das Problem selbst zum einen besteht darin, dass wir in einer komplizierten, fragmentierten, individualisierten Post-Industriegesellschaft leben. Darauf hat die vergangenheitsfixierte und auch personell-intellektuell eher schwache SPD keine Antworten. Zum anderen ist auch diese Gesellschaft zu größeren Teilen retro-fixiert, weshalb auch nicht gesagt ist, dass eine Partei tatsächlich gehört würde, die Antworten auf die wirklichen Fragen hätte.

Trotzdem muss man sagen, dass Gabriels Essay im letzten Spiegel ein starkes Stück war, also ein richtig schwaches. Gabriel versucht nichts weniger, als die Gesellschaft zu spalten, um sie zu retten.

Aus besten Absichten, selbstverständlich: Nur so kann er Kanzler werden. Also beschwört er eine gigantische Gefahr für die Demokratie, nämlich die AfD von Tweed-Opa Gauland und seinen zwei Powerfrauen. Diese rechte Gefahr ist entstanden, weil Kanzlerin Merkel mit ihrer einigermaßen sozialdemokratischen und identitätspolitisch liberalen Politik die CDU „politisch entkernt“ und damit die Nazis vergrault hat. Das war grottenfalsch.

Die CDU muss die „kulturell nicht Integrationswilligen“ viel mehr „bewachen“. Indem sie auch rechte Parolen schwingt. Und vor allem, damit die Merkel-CDU nicht weiterhin als das klar bessere sozialdemokratische Angebot gilt.

Die SPD, progressiv?!

Gabriels Vision: Die CDU geht mal schön wieder nach „rechts“ und also nach Gestern, damit wird die Gesellschaft in zwei Lager gespalten. Gestern-rechts und Gestern-links. Und er führt dann das Gestern-links-Lager an, das er allerdings nicht so nennt, sondern „progressiv“. Kein Mensch wird jemals verstehen, warum die SPD sich progressiv nennt. Vermutlich aus jahrhundertelanger Tradition.

Wo Gabriel schon mal dabei ist, die Verschwörung auszumalen, haut er den Philosophen Peter Sloterdijk als „rechten Ideologielieferanten“ weg. Und die „Linksintelligenz“ gleich mit.

Früher war sie SPD und damit super, heute sei sie „schwächer und überzeugungsärmer.“

Ach. „Linksintelligenz“ ist ein Anachronismus. Keine der großen Herausforderungen der Gegenwart – Klimawandel, Fluchtbewegungen, globale Gerechtigkeit, Folgen der Digitalisierung für Arbeit und Freiheit – ist im alten Links-Rechts-“Überzeugungs“-Schema zu lösen. Wer das behauptet, ist nur dann linksintelligent, wenn das populistisch meint. Oder verzweifelt. Jedenfalls hat er seinen Hermann Scheer nicht gelesen, den Marx des 21. Jahrhunderts.

Die ihre Chance witternden Voll-Rassisten, die kleinen Neidrassisten und frustrierten National-Professoren darf man nicht machen lassen. Aber das heißt nicht, dass man ihrem Ziel, die Gesellschaft zu spalten, auch noch zuarbeitet, indem man die Union nach rechts schiebt und aus 15 Prozent 50 macht. Um dann ein illusionäres „linkes Lager“ erfinden zu dürfen.

Die „Mitte“ ist der Ort!

Ein „Lager“ ist keine Lösung, sondern eine Verschärfung des Problems. Das Gegenteil einer Gemeinschaft. Man sieht an den USA, wie destruktiv und lähmend das ist. Die „Mitte“ ist der Ort, an dem die demokratische Gesellschaft eine Mehrheit formiert – in Distanz zu dem Ort, an dem Rechts- und Linkspopulismus aneinandergrenzen oder ineinander übergehen. In dieser Mitte befindet sich – gottseidank – die CDU. Hier sind die Grünen. Und hier ist auch die SPD.

Es geht jetzt darum, die demokratische Mehrheit zu bewahren, in dem man diese Mitte neu und breit und positiv definiert und damit zusammenhält. Jenseits nationalstaatlichen und ideologischen Lagerdenkens des 20. Jahrhunderts. Vor allem kann man Ungerechtigkeit nur noch sozialökologisch reduzieren.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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8 Kommentare

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  • "Vor allem kann man Ungerechtigkeit nur noch sozialökologisch reduzieren."

     

    Mit der als Fazit einer langen SPD-Analyse herausposaunten Kernthese seiner selbstentworfenen Philosophie lässt Peter Unfried wieder einmal seine Leser ratlos im ökosozialen Nirwana stehen.

     

    Weitere Aufklärung über dieses neue politische Wertesystem, mit dem "Ungerechtigkeit reduziert" werden kann, bleibt uns der sonst so wortreiche Autor schuldig.

     

    Was will uns der Autor damit sagen? Sollen die bisherigen, eher an finanziellen gesellschaftlichen Fixpunkten orientierten Links-Rechts-Kategorien durch die vom taz-Ökopapst kreierte neue sozioökologische Richtungslehre abgelöst werden?

    Etwa nach dem Muster : links-rechts ist out.

     

    Stattdessen sind Mülltrennen, Ökoeinkauf oder Car-sharing die neuen Werte, an denen sich die Menschheit zu orientieren hat.

     

    Ökozertifizierte Unternehmer und Carsharende Lohnabhängige stehen auf der einen Seite von Unfrieds politischer Skala, echte Öko-Saue mit 200PS-Power-Boot oder mit meeresvermüllendem Plastiktüteneinkauf auf der anderen.

     

    Ob so jemand mal bei der Linken oder bei der afd heimisch gewesen sein mag, spielt keine Rolle mehr, jetzt ist er/sie ökosozial bäbä !

     

    Höchste Zeit für Gabriel und die Stretegen anderer Parteien, sich an Unfrieds Wertmaßstäben zu orientieren.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "In dieser Mitte befindet sich – gottseidank – die CDU. Hier sind die Grünen. Und hier ist auch die SPD."

     

    Nun, die Konvergenz zur politischen Mitte verlief mehr oder weniger so, dass sich die Union in den gesellschaftlichen und ökologischen Fragen dahinbewegte und die SPD größtenteils das wirtschaftliberale Credo übernommen hat.

    Die Union (trotz der gegenwärtigen Probleme) kann sich dann als moderne, wirtschaftskompetente Kraft präsentieren, die auch ökonomisch ihre 40% bei der Stange zu halten weiß. Trifft auch auf die Grünen zu.

    Die SPD dagegen? Sie hat politischen Ausverkauf betrieben und steht genauso vor dem Nichts wie die postblairsche Labour Party.

    • @10236 (Profil gelöscht):

      Auch stellt sich die Frage, warum wir trotz dieser geballt kompetenten Mitte-Power seit bald zehn Jahren eine wirtschaftliche Talfahrt bei gleichzeitig zunehmender gesellschaftlicher Instabilität europaweit zu verzeichnen haben, nebst der angespanntesten weltpolitischen Situation seit gut 50 Jahren und auf alle diese Probleme nichts als hohle Phrasen zu hören bekommen.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Mitte ist Mittelmaß. Damit gewinnt man vielleicht Wahlen, aber keinen Blumentopf. Wir sind mit unserem mittefixierten Denken schon lange unfähig geworden, unsere Aufgaben zu lösen, weil wir nur Gedanken nachgehen, die bei niemanden Anstoß erregen (als läppisches Beispiel mag hier das peinliche Zurückrudern der Grünen beim Veggie-Day dienen) und uns nicht trauen, die sich entfesselnde Ökonomie an die Leine zu legen. Solange wir glauben oder diesen Glauben vorschützen, die Ökonomie würde die Sache der Menschen schon von alleine richten, sind wir zum Nichtstun und Gerede verdammt.

     

    Im Übrigen bin ich der Meinung, dass "Das Kapital" mehr über unsere heutige Situation zu sagen hat als es "Dem Kapital" lieb sein kann. Marx - auch mittelbar - zu diskreditieren ist nicht nur billig, sondern vernebelt die Sicht auf die Lage, die nicht sehen zu wollen man dann - wie der Autor - damut rechtfertigt, dass sie angeblich "kompliziert" sei.

  • Der, für den man Politik macht, für den man mit der Politik sorgt, das ist der "Wähler der Mitte". Der Wähler der "Wähler der Mitte" wird mit Wert aufgeladen, er verdient die Anerkennung und Wertschätzung. Wie lange dauert es, bis wir Menschsein an sich als Wert erkennen und für Menschen, die Gesellschaft als Ganzes Politik machen, bis wir die Gesellschaft genauso, wie das einzelne Individuum gleichberechtigt als Adressat von Politik sehen.

  • Der Autor, Peter Unfried, teilt mit Sigmar Gabriel dieselbe veraltete Denkweise – ohne es zu merken. "Die Mitte" – genau das ist das Problem – "Mitte" definiert und grenzt aus! Der Arbeitslose ist nicht Mitte, der chronisch Kranke ist nicht Mitte, der prekär Beschäftigte ist nicht Mitte usw. Die Mitte definiert sich über Eigenschaften – wer die nicht hat, ist nicht Mitte. Genau das ist das Zeitproblem. Die Leute sehnen sich nach solidarischen Werten. Soziale Gerechtigkeit ist kein Linker Wert, es ist ein Menschenwert – Wirtschaftliches Handeln ist kein Rechter Wert, es ist ein Wert, der, untergeordnet dem menschlichen Handeln, das Leben absichert. Wir brauche integriertes Denken, das alle Menschen mitnimmt und das Schicksal jedes einzelnen Menschen ernst nimmt und berücksichtigt. Dieses marktorientierte Adressieren von Bevölkerungsgruppen, die Nutzenbewertung von gesellschaftlichen Gruppen von Parteien, diese exzessiven rücksichtslosen Lobbystrategien, die bewusst große Bevölkerungsteile über den Tisch zieht – das ist es, was sich ändern muss.

  • "Das Problem der SPD ist nicht Sigmar Gabriel." Stimmt!

    Sigmar Gabriel ist nur der weithin sichtbare Teil des Problems der SPD. Die SPD hat irgendwie nie ein Problem darin gesehen. wirklich restlos alles, wofür ihre Mitglieder einmal eingetreten sind, auf dem politischen Jahrmarkt billig zu verschleudern.

    Jetzt ist nix mehr da und den Sigmar Gabriel, den wollen auch andere nicht mal geschenkt.

  • "Vor allem kann man Ungerechtigkeit nur noch sozialökologisch reduzieren."

     

    Na, ob die neoliberale Mitte das hinkriegt?