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Kolumne Die eine FrageGeilheitsmainstreaming

Peter Unfried
Kolumne
von Peter Unfried

Frauen über fünfzig beklagen, dass die Blicke der Männer ausbleiben. Heike-Melba Fendel sieht darin einen grundsätzlichen Denkfehler.

Hält die Klagen über Unsichtbarkeit für vorpubertäre Beleidigtheit: Heike Melba-Fendel. Bild: privat

J etzt klagt schon wieder eine Frau um die fünfzig, dass sie „unsichtbar“ geworden sei und die Kanalarbeiter ihr nicht mehr hinterherpfeifen würden. Ich weiß einfach nicht, was ich darauf antworten soll. Ich bin fünfzig, und die Kanalarbeiterinnen stöhnen lauter denn je, wenn sie mich sehen.

Dass sie zum Anbeißen aussieht, kann ich der Frau auf keinen Fall sagen, denn Oberflächenreduzierungen sind strengstens verboten, und das hat ja auch Gründe. Dass ich sie intellektuell anziehend finde? Das würde sie vollends ins Elend stürzen. Oder soll ich verständnisvoll flüstern: „Dafür kriegen Männer Prostata, wenn sie nicht vorher an Herzinfarkt sterben“? Schon besser, aber nein, ich brauche Rat.

Ein sonniger Vormittag im Berliner Stadtteil Schöneberg. Heike-Melba Fendel, zweiundfünfzig, frühstückt vor einem Café. Fendel ist Chefin der Künstleragentur Barbarella. Schriftstellerin. Blonde Haare, blaue Augen. Wenn man einen Essay liest, der pointiert ist und das eigene Denken gefährdet, könnte er von Heike-Melba Fendel sein. In ihrem FAZ-Blog hat sie sich mit „diesen an selbst diagnostizierter Unsichtbarkeit erkrankten Frauen“ beschäftigt und der Frage, warum sie „nach Aufmerksamkeit selbst solcher Männer hungern, deren Pfiffe sie vormals peinlich berührten“.

Also: Werden Frauen ab fünfzig systematisch benachteiligt, und zwar nicht nur als Managerinnen, Fernsehjournalistinnen und Talkshow-Personal, sondern weil sie im Gegensatz zu gleichaltrigen Männern nicht mehr als sexuell attraktiv gelten?

„Begehren kann man nicht einfordern“

Fendel lächelt. Sie spricht dann über den politischen Feminismus in Deutschland, seine Erfolge und sein Erfolgsprinzip. Frauen der geburtenstarken Post-68er-Generation haben sich in den letzten Jahrzehnten ihnen zustehende Rechte erkämpft. Ihre historische Erfahrung: Kampf führt zu Erfolg. Mehr noch: Die Protagonistinnen wurden durch den Kampf für die Sache individuell sichtbar.

Und nun kämpfen sie mit der Schwierigkeit des Altwerdens und stellen fest: auch ungerecht. So nicht. „Die einzige Form, die sie gelernt haben, ist Anklage und Einforderung“, sagt Fendel. „Das Drama ist, dass sich das nicht übertragen lässt auf den Bereich des Sexuellen und der Gefühle zwischen Mann und Frau.“ Konkret: „Begehren in den Blicken der Männer kann man nicht einfordern.“

Die Forderung, dass Männer gefälligst Frauen über fünfzig attraktiv zu finden haben, ist wirklich so putzig und menschenignorant, dass sie aus dem kommenden Wahlprogramm der Grünen sein könnte. Sie könnten es Geilheitsmainstreaming nennen. Weder sexuelle noch emotionale noch intellektuelle Begehr ist gesetzlich oder humanistisch einzuklagen. Manchen Frauen und Männern hat auch mit zwanzig kein Schwein hinterhergeschaut. Da muss man improvisieren. Manche Männer wurden dann reich. Oder lustig. Wie ich.

taz am wochenende

Essen mehr Menschen weniger Tiere, wenn Veganer statt Bildern von gequälten Masthähnchen lieber die von saftigen Seitan-Schitzeln posten? Zu Besuch bei drei Genuss-Missionaren in der taz.am wochenende vom 26./27. Juli 2014. Außerdem: Wie die ersten beiden Weltkriegstoten nach hundert Jahren immer noch keine Ruhe finden. Und: „Ein flaues Gefühl in der Magengegend begleitete mich jeden Tag.“ Die Filmemacherin Elfe Brandenburger über ihre Jugend an der Odenwaldschule. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Aber wie geht Heike-Melba Fendel eines Tages mit womöglich ausbleibenden Blicken um? Sie schüttelt den Kopf. Grundsätzlich falscher Denkansatz. „Die wirkliche Dummheit dieser Frauen“ nennt Fendel, dass sie sich auf den abstrakten Allgemeinfall fixieren („Männer“). Dadurch entstehe ein „falsches me too“, also das Gefühl anderer Frauen, dass es ihnen auch so gehe wie den Hauptklägerinnen.

Ein Zeichen von Unreife

Aber Männer haben es doch besser? Mag sein, sagt Fendel, aber Gleichberechtigung sei nicht, dass es dem anderen Geschlecht auch schlecht zu gehen habe. Die ganze Sache sei ein Zeichen von Unreife. „Die postklimakterische Frau pflegt eine vorpubertäre Beleidigtheit.“ Die Folge ist für sie der klassische Fall eines Diskurses, in dem mal wieder nur Missverständnisse ausgetauscht werden. Und Marken und Denken des 20. Jahrhunderts gepflegt.

Es geht nicht um Sichtbarkeit in Beziehung auf irgendwelche Männer, die keiner braucht. Schon gar nicht um das Einklagen, sagt Fendel. Es geht um „den Mann, der einen interessiert“. Es geht um das „Erkennen“ zwischen der einen Frau und dem einen Mann (LSBTTIQ bitte entsprechend übertragen). Was nützen einem die pfeifenden Kanalarbeiterinnen am Wegesrand, wenn DIE nicht (mehr) hinschaut, um die es nicht theoretisch oder einen Moment gehen soll, sondern existenziell und möglichst lange?

Es muss furchtbar sein, wenn man wirklich unsichtbar ist. Verhindern kann das aber letztlich keine Kanalarbeiter-Truppe und auch kein Gesetz. Sondern nur man selbst. Der erste Schritt ist, dass man sich keinen Unsinn einreden lässt.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

13 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Hätten nicht in den atraktivsten Jahren einer Frau die Kanalarbeiter schicke Banker sein können; Ja, das wäre sicher gar nicht so schlecht gewesen. Über 50 aber nicht wundern, dass die schmutzigen Kerle es doch nicht so nötig haben und mit dieser kein Erbarmen.

    Alles eine Statusfrage bei vereinsamten Narzisstinen.

  • Wenn Männer ihr Begehren artikulieren kommt es zu einem #Aufschrei, bleibt das aus, ist auch nicht richtig.

     

    Man kann es Femis nicht Recht machen, zu klagen, sich zu beklagen und ständig zu jammern und den Mann für alles verantwortlich zu machen, ist ihr ganzer Lebensinhalt.

     

    Werdet erwachsen.

    • @Widerspenstiger:

      oh stimmt! bei #Aufschrei ging es darum, dass Frauen sich darüber beschwert haben, dass Männer ihr Begehren artikulieren...Gut aufgepasst!

      Ich lehne mich wahrscheinlich weit aus dem Fenster, wenn ich jetzt schreibe, dass es da eventuell eher darum ging, dass Frauen sich angesichts täglich vorkommender sexueller Belästigung und Sexismus endlich mal Luft gemacht haben. Wenn aber sexuelle Belästigung für dich männliches Artikulieren von Begehren ist, dann sind es vielleicht nicht die "Femis", die hier erwachsen werden sollten.

      • @chiyo:

        Bitte definiere "Sexuelle Belästigung".

         

        Bitte beantworte die folgenden Fragen:

         

        1.) Ist eine verunglückte Anmache automatisch "sexuelle Belästigung"?

         

        2.) Ist es möglich, dass ein und dieselbe Anmache von der einen Frau als "sexuelle Belästigung" gewertet wird, von einer anderen aber nicht?

         

        3.) Was folgerst Du daraus?

  • Ist der Feminismus echt jetzt schon so weit gekommen, daß Männer Frauen, die sie optisch nicht interessieren, gefälligst attraktiv zu finden ahben? Was kommt noch, eine Geldstrafe für Männer wenn diese sich weigern eine faltige 55-Jährige für "super-attraktiv" zu erklären?

    Aber immerhin: Auch damit läßt sich Geld verdienen, Bascha Mika hat ja ein Buch darüber geschrieben, wie böse ungerecht es ist, wenn Frauen in die Jahre kommen. Leider hat sie dem entsprechenden Gegenpart "vergessen", nämlich die Männer, die mangels finanzieller Ausstattung keine Chancen auf dem Partnermarkt haben, und diese Erfahrung schon in viel jüngeren Jahren machen müssen.

  • Öffentlich gezeigtes Begehren ist ganz und gar nicht unpolitisch. Es zur reinen Biologie zur erklären, ist geschichts- und gesellschaftsbind. Wer sein Begehren öffentlich zeigt, tut das nicht aus der Unschuld irgendeines Triebes heraus, sondern übt Macht aus: zu bestimmen, wer begehrenswert ist oder nicht. Und genau deshalb pfeift der in dem Artikel überstrapazierte Kanalarbeiter der Frau hinterher: nicht weil er begehrt, sondern weil er seine Überlegenheit durch den Akt des Selektierens in atttaktiv/unattraktiv demonstrieren will. Frauen sind auch heute noch von früh an darauf sozialisiert, sich für Männer begehrenswert zu machen. Die Lösung für eine mangelnde Attraktivität nach heteronormativen Schönheitsnormen ist für sie auch nicht reich oder "witzig" zu werden. Das sollen sie zwar mittlerweile durchaus auch, aber anerkannt wird das nur bei gleichzeitiger "Attraktivität". Insofern reagieren Frauen, die ab einem bestimmten Alter ein Ausbleiben von Begehrensbezeugungen bedauern, völlig innerhalb der Logik weiblicher Identität. Unreif oder vorpubertär wäre das nur, wenn der öffentliche Ausdruck von Begehren gegenüber dem anderen Geschlecht für Frauen wie Männer gleichermaßen üblich wären. Von Zeiten, in denen die Kanalarbeiterinnen mit kleinem i den Männern mit dem Knackigen Hintern hinterherpfeifen, sind wir jedoch trotz aller oberflächlichen Gleichstellung noch weit entfernt.

    • @Kerstin Mahr:

      "Wer sein Begehren öffentlich zeigt, tut das nicht aus der Unschuld irgendeines Triebes heraus, sondern übt Macht aus:"

      "Begehren"ist das aktiven Zeigen von Interesse, möglicherweise aus Motiven, die auf Partnerschaftswünschen oder auf sexuellem Verlangen beruhen . Auf dieses Zeichen kann die andere Person positiv oder negativ reagieren. Dieses simple Aktion-Reaktion-Schema gilt für beide Geschlechter. In unserer Kultur ist es leider (!) immer noch überwiegend so, dass im Rahmen eines Kontaktaufnahmeversuchs der Mann zunächst den aktiven auslösenden Part spielt, dass von ihm zunächst die Initiative erwartet wird. Die Frau hat dann das Recht, darauf zu reagieren. Wo es hier um "heteronormative Schönheitsnormen" geht, erschließt sich mir nicht, aber ich bin ja auch kein Feminist!

    • @Kerstin Mahr:

      danke für diesen wachen, nüchternen kommentar!

    • @Kerstin Mahr:

      "Frauen sind auch heute noch von früh an darauf sozialisiert, sich für Männer begehrenswert zu machen"

       

      Ich weiß nicht, aber je mehr ich drüber nachdenke...ja...Sie sind es die irgendwo gedanklich noch im vorigen Jahrhundert stecken geblieben sind.

      Werden Sie mal wach

    • @Kerstin Mahr:

      Heureka! Wenn ich oller Kanalarbeiter Bock auf Leberwurst hab, dann hab ich Macht über den Metzger...!?!?

      Gut das mir das die Kerstin sagt. Bislang sah ich das exaktement andersrum. Kannste mal sehen - Wieder was gelernt, gelle!

      Zum Dank vermittle ich gerne, quasi als kleine Nothilfe, den Kontakt zu meiner Nachbarin. Diese hat nämlich tatsächlich einen Vogel (Papagei), welcher pfeift wie ein Kanalarbeiter wenn eine andere Nachbarin vorbeigeht.

      Das Vieh wird gerne in bedürftige Hände abgegeben. Verursacht bei uns im Hinterhof ohnehin nur Zank und Streit.

    • @Kerstin Mahr:

      "Heteronormative Schönheitsnormen"!? Diese Begriffs"paarung" muss man sich auf der Zunge wie "Herrenschokolade" (oder im Hirn, denn hier leidet jemand an progressiver Cerebralisierung) zergehen lassen.

  • Kommentar entfernt. Bitte vermeiden Sie Polemiken.
    • @9943:

      Nee, nee, nee, min Jung! Das siehste völlig falsch, wie uns die Kerstin Mahr belehrt. Straffreiheit reicht da nimmer aus:

      Uns' Kerstin sagt: Der Kanalarbeiter pfeift die Mädels hinterher, weil er damit Macht ausüben kann indem er "durch den Akt des Selektierens in attraktiv/unattraktiv (...) seine Überlegenheit demonstrieren will". Eine nichterfolgte sexuelle Belästigung von Frauen über 50 wäre demnach eine Negativselektion - und dann haben wir den Salat: der Rüpel greift nach der Macht.

      Was nun? Sexuelle Belästigungen über 50 zur Pflichtübung für Kanalarbeiter dekretieren? - oder dem Papagei der Nachbarin endlich den Hals umdrehen? - Das Vieh pfeift gerade wieder.