Kolumne Die Kriegsreporterin: Extraspiel des Intrigantenstadels
Chefredakteursdrama beim „Spiegel“: Wem nutzt es, wenn das einstige Sturmgeschütz der deutschen Demokratie führungslos dasteht? Na, Jakob Augstein!
H allo, taz-Medienredaktion!
Hupsala! Da ist man mal ein paar Wochen weg und was wird einem zur Heimkehr serviert? Eine Sonderaufführung des Intrigantenstadels. Schauplatz ist, es könnte nicht spannender sein, der Spiegel, der am Dienstag den Rausschmiss seiner zwei Chefredakteure bekanntgibt, nachdem Kai-Hinrich Renner vom Hamburger Abendblatt am Freitag, kurz vor Ladenschluss, berichtete, der Spiegel denke daran, sich von den Herren zu trennen. Was diese angeblich nicht wussten.
Nun ist natürlich das Spannendste die Überlegung, Renner könne die „Information“ von jemandem bekommen haben, der … ja, was? Na, der was will, natürlich. Der ein Interesse daran hat, dass die Bemühungen des Verlags, in Ruhe eine Lösung um das persönliche und inhaltliche Gezänk von Mascolo und Blumencron zu finden, torpediert wird.
Das führt zu der Frage: Wem spielt es zu, wenn das einstige Sturmgeschütz der deutschen Demokratie führungslos dasteht? Wenn dringend jemand gebraucht wird, der den Laden kennt, der in so einem Gewässer bestehen kann und dem es zuzutrauen ist, das Nachrichtenmagazin unter Opas Landserheften, das zuletzt mit einem Uhren-Spezial Aufmerksamkeit zu generieren versuchte, in die Moderne zu führen? Sprich in eine Welt, in der Frauen, familiengerechte Strukturen und „Diversity“ nicht für eine Autoimmunerkrankung gehalten werden.
Doppelspitze Jakob Augstein
Jakob Augstein, Sohn des Gründers, spielt das zu. Und so vieles spricht für ihn! Zum Preis von nur einem Gehalt könnte zumindest intellektuell die Doppelspitze erhalten bleiben. Von Martin Walser gezeugt, wurde der 46-Jährige von Rudolf Augstein großgezogen, was zweimal Jackpot bedeutet. Und: Jakob Augstein gärtnert. Das zeugt von Besonnenheit. Fragen wie: „Was bringe ich auf den Titel?“, „Was soll man Merkel fragen?“, werden sich wie von selbst beim Graben im Mutterboden beantworten. Ich weiß das, auch ich hatte bis vor kurzem einen Garten. Das war die Zeit, als meine Texte noch gut waren.
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Und praktisch: Augstein könnte sich elegant seiner hübschen, klugen, aber erfolglosen Zeitung Freitag entledigen. Allerdings, dass Henryk M. Broder sich für ihn ausgesprochen hat, macht stutzig. Ist Broder vielleicht doch ein Augstein-Gegner? Ist hier der Heldentod durch Umarmung geplant?
Eine Frau? Scherzkekse!
Natürlich hat Pro-Quote, die Sessel von Mascolo und Blumencron waren noch nicht kalt, nach einer Frau geschrien. Aber wer sollte das sein? Hat zufällig irgendjemand eine Frau auch nur in die Nähe einer solchen Position kommen lassen, auf dass sie jetzt infrage käme? Scherzkekse haben Miriam Meckel ins Spiel gebracht, die in der Schweiz was mit Medien lehrt. Das ist auch nicht fair: Kaum braucht man mal schnell einen Frauennamen, muss sie herhalten.
Immerhin kann Julia Jäkel nach dem gleichfalls überraschenden Rausschmiss von Achim Twardy als Gruner-&-Jahr-Chefin jetzt mitbestimmen, wer beim Spiegel auf Stühlchen klettern darf. Und das könnte auch Franziska Augstein, die Schwester von Jakob sein, als Herausgeberin mit dpa-Boss Wolfgang Büchner als Chefredakteur an der Seite.
Am Ende ist es aber vielleicht nur halb so aufregend. Kai-Hinrich Renner will durch einen Zufall auf die Entlassungspläne gestoßen sein. Auch Werben und Verkaufen war zeitgleich an der Sache dran. Das läuft der hübschen Verschwörungstheorie vom Durchstechen zuwider. Schmälert aber kaum das unwürdige Intrigenspiel beim einstigen Sturmgeschütz, bei dem so mancher Gesell eine dubiose Rolle einnimmt. Gespannt auf die Fortsetzung gebe ich zurück nach Berlin!
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