Kolumne Die Kriegsreporterin: Holla, die Blödfee!
Zeitungen tun so, als wären sie an der Meinung ihrer Leser interessiert. Und Journalisten beweisen, dass sie nicht denken können.
H allo taz-Medienredaktion!
Wo ist Ede Zimmermann, wenn man ihn mal braucht?! Nepper, Schlepper, Leserfänger. Allein drei an einem Vormittag. Und alle in meinem Briefkasten. Ich würde es mal so beschreiben: Ahnungslos schloss die junge Journalistin am Morgen des 3. Septembers ihren Briefkasten auf. Ein leichter Luftzug im Treppenhaus, ausgelöst durch die halb geöffnete Haustür, spielte mit dem Haar der jungen Frau und ließ sie an diesem Regenmorgen noch lieblicher erscheinen.
Zwei Zeitschriften, ein Brief von der Bank und drei weiße Umschläge mit großen Verlagshäusern als Absender fielen der Frau, die für ihre zurückhaltende Art geschätzt wird, in die Hände. Zeit, Handelsblatt sowie die Frankfurter Allgemeine hatten sich an die Autorin gewandt und vorgetäuscht, an ihrer Meinung interessiert zu sein. Zumindest die Holtzbrinck-Medien Zeit und Handelsblatt taten auf dem Umschlag so, die FAZ offeriert auf dem Kuvert: „Die F.A.Z. stellt sich zur Wahl: Sichern Sie sich Abo und wertvolle Prämien!“
Und während das Blatt, das immer mehr an Auflage verliert, so tut, als müsse die potenzielle Leserin sich sputen, um das Gute – ein Abo! – nicht zu versäumen, soll die Adressatin als „mündiger Leser“ ein „Kreuzchen“ machen. Sagen, welche Inhalte sie sich für ihr „Lieblingsblatt“ wünscht. Ein 12-Wochen-Abonnement gibt es dann 30 Prozent günstiger. Leider ist man bei dem Blatt zu blöd, den Namen derer, die man zu gewinnen hofft, richtig zu schreiben und nennt sie „Silka“.
Auch Giovanni di Lorenzo bittet um ein Meinungsbild bezüglich der präferierten Themen und verspricht mir mal wieder eine Uhr als „persönliches Dankeschön“ zuzuschicken. Seit rund zwei Jahren wartet Silka auf ihre letzte Umfrageuhr. So ist sie zwar ständig zu spät, aber naiv ist sie nicht mehr.
Dämliche Fragen, sinnlose Geschenke
Beim Handelsblatt schickt man den neuen Chefredakteur Hans-Jürgen Jakobs vor, sich für die dämlichste aller Aktionen hinzugeben, einer Onlinebefragung. Angeblich zur Wahl. Sechs willkürliche Fragen, deren Beantwortung nicht nur – wie auch bei FAZ und Zeit – mit der Teilnahme an einem Gewinnspiel belohnt wird, sondern obendrein – Obacht!, Spannung!, Trommelwirbel! – mit der Möglichkeit, etwas runterzuladen. Der Download eines E-Books, des Handelsblatt-Dossiers „Wie sich Häuslebauer niedrige Zinsen sichern“ oder des Onlinespiels „Politiker-Memory“ stehen als „Dankeschön“ bereit.
Auch an dieser Stelle sagt die Briefempfängerin ein herzliches Dankeschön und fragt sich, für wie blöd die Marketingleute Menschen wie Silka Burmester halten?
Und während in den Wochen vor der Bundestagswahl allein am Inhalt eines Briefkastens deutlich wird, wie groß der Horizont von Werbeschwachmaten ist, zeigt sich beim TV-Duell, dass Journalisten auch nicht denken können. Nicht denken, nicht sehen, nicht hören, nicht einordnen. Wären sie dazu in der Lage, wären sie nicht so erstaunt gewesen, dass Stefan Raab seine Sache so gut gemacht hat.
Aber wie sie so sind, die von der vierten Macht, sehen sie dem Mann jahrelang zu, wie er zu einer der einflussreichsten und erfolgreichsten Fernsehfiguren wird, wie er für sich und andere Hits schreibt, wie er Lena groß macht und den ESC aus der Zombiezone holt, wissen, dass er nicht davor zurückschreckt, auch noch Duschköpfe zu entwickeln, und wenn sie „Schlag den Raab!“ sehen, dass der Mann, weil er nicht verlieren kann, sich professionell auf alles vorbereitet. Und dann wundern sie sich, dass er in so einer Pinguin-Runde – als einer von vieren – gut ist?!?
Holla, die Blödfee! In diesem Sinne zurück nach Berlin!
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