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Kolumne Die CouchreporterMarie Kondo kann uns nicht helfen

Kolumne
von Maike Brülls

Die Autorin eines Bestsellers übers Aufräumen hat jetzt eine eigene Serie. Die macht Spaß, dreht sich aber um das völlig falsche Problem.

Die Welt versinkt im Chaos und mittendrin chillt Marie Kondo Foto: Netflix

A m krassesten ist natürlich das Ehepaar in Folge zwei: Wendy und Ron Akiyama. Die beiden stehen kurz vor der Rente – und ersticken in ihrem Besitz. Zumindest fehlt dazu nicht viel, denn das Haus, eigentlich recht groß, ist so zugestellt mit Kisten und Bergen voll Krempel, so zugehängt mit Kleidung, dass man die Möbel darunter und die Wand dahinter oft nicht erkennen kann.

Marie Kondo kann ihr Entzücken darüber kaum verbergen. Sie liebt Unordnung. Denn in der Netflix-Serie „Tidying Up with Marie Kondo“ geht es ums Aufräumen. Längst hat die Serie einen Mini-Hype erzeugt. Menschen rennen durch ihre Wohnung und berühren sanft ihre Gegenstände. Aber es gibt ein Problem: Marie Kondo kuriert nur Symptome.

„Hallo, ich bin Marie Kondo. Ich möchte durch Aufräumen Freude in die Welt bringen“, heißt es zu Anfang jeder Folge. Kondo hat einen Bestseller geschrieben, die deutsche Version heißt „Magic Cleaning. Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert“. In 27 Sprachen wurde das Buch der mittlerweile in Amerika lebenden Japanerin übersetzt und weltweit sieben Millionen Mal verkauft. Und nun eben diese Serie, in der Kondo Menschen dabei hilft, auszumisten.

Das Prozedere ist immer das gleiche: Marie Kondo fährt vor, staunt über das Haus, es folgt eine merkwürdig schrille Begrüßung. Dann ein kurzer Rundgang, Kondo freut sich über die Unordnung („I love mess!“). Wenn sie sich dann auf Knien sitzend in einer kurzen Meditation dem Haus vorgestellt hat, geht es los. Nach der von ihr entwickelten KonMari-Methode wird ausgemistet. In dieser Reihenfolge: Erst Kleidung, Bücher, Unterlagen, dann „Komono“ (Vermischtes) und erst zuletzt Gegenstände, an denen man hängt. Alle Teile werden auf einen Stapel getan, einzeln in die Hand genommen. Entfachen sie dabei ein Glücksgefühl („does it spark joy“), dann bleiben sie. Wenn nicht, dankt man ihnen und sortiert sie aus.

Die eigentliche Katastrophe

Das klingt einfach. Nun ist es aber so, dass Dinge eben nicht nur Dinge und Menschen keine eindimensionalen Wesen sind. So schwelen unter dem ganzen Kram auch eine Menge innerer Konflikte. Und die gilt es, gleich mit zu lösen. Da sind zum Beispiel die jungen Eltern, bei denen durch das Chaos in der Wohnung eine aufkeimende Beziehungskrise sichtbar wird. Oder die Witwe, die mit dem Aussortieren auch den Tod ihres Mannes verarbeiten muss.

Die Serie

„Aufräumen mit Marie Kondo“ gibt es bei Netflix.

Für Zuschauer:innen mit voyeuristischen Gelüsten ist diese Serie ein Fest. Es macht Spaß, die unordentlichen Häuser der anderen Menschen anzugucken. Es ist beruhigend, zu sehen, dass auch sie Teile ihres Lebens nicht im Griff haben. Es ist rührend, wie sie sich den leicht esoterischen Methoden Kondos langsam öffnen und mit jedem aufgeräumten Zimmer euphorischer werden. Und mal ehrlich: Vorher-Nacher zieht immer. Dazu eine Marie Kondo, die so grazil an dem Unrat vorbei wandelt und mit feinen Handbewegungen Tipps zum Falten von Spannbettlaken oder dem Verstauen von Krawatten gibt: toll.

Doch so schön die gelösten privaten Konflikte auch sind, die allem zugrundeliegende gesellschaftliche Katastrophe wird nicht thematisiert: das absurde Konsumverhalten des Menschen im Spätkapitalismus. Die Reflexion dessen, welche Rolle das Kaufen spielt – für den einzelnen Menschen, aber auch für Produzent*innen und Umwelt – bleibt aus. Als problematisch werden lediglich die vollgemüllten Häuser wahrgenommen. Den Leuten einzureden, sie sollen weniger kaufen, wäre ja auch unklug. Hielten sich alle dran, würde Kondo schon mal weniger Bücher verkaufen.

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7 Kommentare

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  • 6G
    64457 (Profil gelöscht)

    Problem der Nachkriegsgeneration? Meine Aussteuer staubt seit 30 Jahren im Elternhaus vor sich hin, so dass man im Schlafzimmer nicht mal zutreten kann, darf nicht mal in den Keller, weil Mama Angst vorm Keller hat und steht auf dem Schrank, wo keiner in die Kiste gucken geschweige denn die ohne Bandscheibenvorfall runterheben kann ("Kind, das kannst du doch mal gebrauchen!") Auf mein Argument, wieso ich 5 Std. für 45 € auf Elternbesuch fahren soll, anstatt mir für 10 € neue Bettwäsche, Tempotaschentücher oder ne Klobürste am Wohnort zu kaufen, kommt ein: "Aber wenn es nun mal wieder andersrum kommt!" Auch dürfte wohl die Hoffnung mitschwingen, dass Töchterchen endlich mal Röcke und rosa Nachthemden anzieht.

  • Wer sagt denn, dass man immer gleich die ganze Welt retten muss? Die Wohnung zu entmisten ist jedenfalls ein guter Anfang, das Konsumverhalten in Zukunft zu überdenken.

  • Nicht alles im Leben muss zu jeder Zeit gesellschaftliche Probleme thematisieren. Mich selbst hat die Serie inspiriert, was wohl beim Author dieses Artikels nicht der Fall ist. Marie zeigt in überaus respektvoller Art und Weise wie Ordnung in das eigene Leben Einzug halten kann. Auch die Familien in der Serie werden nicht bloßgestellt und Marie's Art der Kommunikation habe ich als überaus angenehm empfunden. Und die Realisierung der Familien, wie viel sie tatsächlich besitzen regt direkt zum Nachdenken an. Wer das nicht selbstständig erkennen kann, wird auch gesellschaftliche Konsumkritik nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. Die Botschaft ist doch eigentlich, behalte nur das, was Dir wirklich wichtig ist und was Dich glücklich macht. Und das hier manchmal deutlich mehr dahinter steckt als in 40 Min in der Serie gezeigt werden kann ist denke ich klar. Dennoch hilft es Ordnung ins eigene Leben zu bringen. Und ich kann aus eigener Erfahrung sagen, es ist ein tolles Gefühl auf einen Blick im Kleiderschrank zu sehen, was ich habe und was ich heute anziehen will! Lieber Author, vielleicht vorher mal ausprobieren bevor Sie darüber so abfällig schreiben. ;-)

  • Zuerst einmal: Es heißt ‚Konmari‘, nicht ‚KonMargie‘. Richtig, der Konsum ist ein Problem. Dennoch ist die Idee, die hinter der Konmari-Methode steckt nicht schlecht. Ich sehe darin ein Anfang, zumindest dann, wenn man bei der Serie zwischen den Zeilen lesen kann: 1. Überblick verschaffen. Das macht (oft) deutlich, was man schon hat. Das bedeutet auch, dass man sich mit dem eigentlichen Konsumverhalten auseinandersetzen muss! 2. Dankbarkeit! Dieser Punkt geht allerdings in der Serie unter. Dennoch: Wenn die Serie nicht im



    ‚binge-watching’ dem eigenen Voyeurismus dient, sondern man fähig ist, sich selbst zu reflektieren, ist es durchaus ein Anfang für weniger Konsum. (Egal ob der in 1€-Shops oder sonstwo ausgelebt wird.)



    Zu meiner Person: Ich bin übrigens seit 20 Jahren Minimalistin.

  • Ich würde vorschlagen mal das Buch zu lesen. Was ist denn KonMargie? Ich hoffe nur ein Typo.



    Aber die Serie ist leider wirklich nicht so gut wie das Buch

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Vielleicht sollte Frau Kondo mal einen Hartz-IV-Haushalt aufräumen oder bei einem Armutsrentner klar Schiff machen. Das würde wahrscheinlich kaum genug Stoff für eine Folge hergeben.

    Freilich ist das Konsumverhalten absurd. Aber es ist doch ein Unterschied, ob man es im Ein-Euro-Shop auslebt, oder bei Manufactum.

    • @88181 (Profil gelöscht):

      Überflüssiger Konsum ist schädlich. Punkt. Ob man in Billigklamottenläden oder bei Valentino shoppt, im 1-Euro-Laden oder bei Manufactum, ist da letztendlich zweitrangig. Es geht um verbrauchte Ressourchen, die erst abgebaut und verarbeitet werden, nur um dann irgendwo ungenutzt herumzuliegen. Das ist Verschwendung, die nur schadet, außer kurzfristig den ProduzentInnen. Die Produkte stützen viel zu groß gewordene Geschäfte, halten ArbeiterInnen in Billigjobs gefangen und müllen erst unsere Häuser, dann die Second-Hand-Plattformen und schließlich unsere Umwelt zu.

      Zur Methode: Das Auftürmen der Besitztümer an einem Platz macht den Aufräumern deutlich, wie viel für sie nutzlosen Kram sie in der zigsten Version besitzen. Das führt durchaus zum Überdenken des eigenen Konsumverhaltens, auch wenn das in der Serie nicht ausformuliert wird.

      Ich praktiziere die Methode selbst übrigens nicht, habe aber ein paar wertvolle Anregungen erhalten.