Kolumne „Deutschland, was geht?“: Ausgeliefert
Plötzlich bin ich wieder die Neunjährige, die in der Übersetzung die Abwertung der Eltern tilgt und böse Worte versteckt, um sie zu schützen.
D ie Sonne scheint, der Kaffee ist heiß, Autos zwängen sich auf der vollen Sonnenallee in Berlin-Neukölln aneinander vorbei. Meine Mutter und ich sitzen in einem kleinen Straßencafé. Das heißt, eigentlich hat sich ein Kaffeeverkäufer mit seinem mobilen Espressowagen in einen Blumenladen eingemietet und ein paar Holzkisten auf den Bürgersteig gestellt.
Hier sitzen wir in feinster Hipstermanier, umringt von Deutschen, die sich wohl fühlen in der arabischen Hochburg, die die Sonnenallee schon lange ist, und unterhalten uns angeregt - auf arabisch. Irgendwann kramt meine Mutter ihr Smartphone hervor und zeigt mir ein Bild von sich am Rednerpult neben einer Abgeordneten im brandenburgischen Landtag. Die Politikerin lädt immer wieder Geflüchtete ein, meine Mutter übersetzt.
Ich bin überrascht und begeistert, sonst drückt meine Mutter sich in meiner Anwesenheit davor, deutsch zu sprechen und raunt mir stattdessen ihre Worte auf arabisch zu, obwohl sie das mittlerweile nicht mehr nötig hätte. Früher war das anders.
Ich weiß nicht mehr, wie oft ich als Kind als Dolmetscherin eingesprungen bin, in der Schule, Ämtern und Behörden. Immer war da eine unterschwellige Angespanntheit, die meine Eltern umtrieb. Sie waren der Übersetzerkunst einer Neunjährigen ausgeliefert, nicht selten ging es dabei um existenzielle Dinge wie Aufenthaltsgenehmigungen und Geld.
Komplizierte Beamtensprache
Jetzt betreut meine Mutter im Landtag Geflüchtete, wie sie früher selbst eine war. Sie erzählen ihr von ihren Nöten. Eine der Frauen hat nach über einem halben Jahr endlich den kranken Mann und die drei Kinder aus Syrien nach Deutschland geholt.
Sie alle leben in einem Zimmer mit nur einem Bett, die Kinder schlafen auf Stühlen. Die syrische Frau bittet meine Mutter, sie zum zuständigen Amt zu begleiten. Schließlich sei ihr deutsch noch immer nicht ausreichend, um die komplizierte Beamtensprache zu verstehen.
Meine Mutter erzählt: „Weißt du Nemi, die Beamte war dermaßen unfreundlich und zeigte keinerlei Verständnis. Sie schrie die Frau an, was ihr einfiele, nach einem halben Jahr noch immer mit einer Begleitperson aufzukreuzen. Die Syrerin hat nur noch so vor sich hin gestammelt. Stell dir vor: eine erwachsene, gebildete Frau, die in ihrer Heimat Ingenieurin war und der nun die Tränen kommen.“
Ich merke, wie mein Herz schneller klopft und die Worte nur so aus mir heraus brechen: wäre ich dabei gewesen, dann wäre das nicht passiert und die Beamte solle lieber froh sein, dass sich jemand bereit erklärt hatte, kostenlos zu übersetzen. Ich sage, dass ich mir das nicht hätte gefallen lassen und überhaupt soll sich das niemals wieder irgendjemand gefallen lassen. Ich rede ohne Punkt und Komma.
Irgendwann blickt meine Mutter mich an, wie sie es früher oft getan hat. Und plötzlich bin ich wieder die Neunjährige, die ohne wirklich zu begreifen die Abwertung der Eltern in ihren Übersetzungen tilgt und böse Worte versteckt, in der Hoffnung, dass sie niemals würden spüren müssen, wie sehr sie diskriminiert werden. Vergebens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!