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Kolumne Deutschland, was geht?Mit sonnigen Grüßen

Im Libanon ist „Syrer“ zur Beleidigung geworden: Zwei Wochen lang habe ich Urlaub vom deutschen Rassismus – und lerne den libanesischen kennen.

„Hast du gesehen, wie schön der Libanon sein kann?“, sagt mein Onkel Foto: Nemi El-Hassan

Weite, grüne, von Hunderte Jahre alten Zedern bewachsene Täler, mit Eis und Schnee bedeckte Gipfel, vorbei an Weinreben und Schildern, auf denen „Chateaus“ angekündigt werden, während mir der Fahrtwind reinste Luft in die Lungen presst: Ich bin auf meinem jährlichen Trip im Libanon, um meine Familie zu besuchen, touristische Abstecher inklusive.

Zwischendurch tauchen sie immer mal wieder auf: ärmliche Hütten aus bunten Stoffen, Metallplatten und Pappe zusammengekleistert und mit alten Reifen befestigt, damit nicht schon der nächste Windstoß sie von dannen bläst. Es wirkt, als seien es erst kürzlich eingerichtete, provisorische Heimstätten, ohne fließend Wasser oder Stromanschluss, geschweige denn Wlan, das hier in etwa so viel Wert ist, wie ein Barren Gold - wenn es denn mal funktioniert.

Ohne, dass ich fragen müsste, dringt der Kommentar meines Onkels an mein Trommelfell und bringt es mehr als üblich zum Beben: „Syrer sind das. Siehst du, in welchem Dreck sie leben? Sie kommen her und bringen den Dreck mit. Hast du gesehen, wie schön der Libanon sein kann und wie sehr sie die Gegend hier entstellen? Es ist eine Schande.“

Als ich ansetze, um meine Empathie mit den in den Hütten lebenden Menschen zu bekunden, die ja offensichtlich vor dem Krieg geflohen sein müssen, erhalte ich einen Crashkurs in libanesischer Geschichte – zugegebenermaßen politisch eingefärbt: „Die Hütten stehen hier schon seitdem die syrische Armee Ende der 70er in den Libanon eingerückt ist, zu Zeiten des Bürgerkriegs. Und mit den Soldaten kamen auch die Arbeiter. Um Geld zu sparen, haben sie einfach diese Hütten auf den Feldern errichtet und damals konnte niemand etwas dagegen sagen, weil die Armee ja vor der Tür stand. Seitdem wohnen sie dort.“

„Syrer“ ist eine Beleidigung geworden

Wir rasen auf die Serpentinen zu, immer tiefer hinein ins Chouf Gebirge. In jeder Kurve prasseln die Kommentare der letzten Tage auf mich ein: „Du riechst wie ein Syrer“, „Du siehst aus, wie ein Syrer“. Das Wort „Syrer“ ist eine Beleidigung geworden.

Zwei Wochen pro Jahr habe ich Urlaub vom deutschen Rassismus. Stattdessen finde ich mich häufig in der Situation wieder, Syrer zu verteidigen, die hier im Libanon von Vorurteilen betroffen sind, während ich Deutscher mit libanesischen Wurzeln im besten Fall besonders toll bin und im schlimmsten zum Mainstream gehöre.

Diese Vorurteile erwachsen nicht aus einer chauvinistischen Selbsterhöhung, sondern gehen auf die Wirren des Bürgerkriegs zurück. Trotzdem treffen und schmerzen sie.

Plötzlich muss ich mich damit auseinanderzsetzen, dass meine eigene Familie in Vorurteilen denkt. Das fühlt sich verrückt an und ich denke an einen deutschen Freund, der mir davon erzählte, dass er nicht mehr mit seiner Oma spricht, seitdem sie die „Junge Freiheit“ abonniert hat. Er weiß, dass das auch keine Lösung ist. Mir fiel nichts Gescheiteres ein, als zu sagen, dass das bestimmt ziemlich schwierig sei. Im Anschluss wechselte ich das Thema.

Ach übrigens: wie ist gerade das Wetter in Deutschland?

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1 Kommentar

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  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Konstellationen zwischen Eigenem und Fremden sind immer komplexe Vermittlungsverhältnisse von Individuen, Kultur, Gesellschaft, Geschichte und Politiken. Davon bleibt kein Ort und keine Zeit unberührt. Hinsehen und Zuhören ist ein Anfang, daran können sich Reflexionen und Gespräche über die Perspektiven anschließen. Es ist und bleibt den eigenen Limits geschuldet, alles unter ein Label zu bringen. Dass man sich "bestenfalls" die Auseinandersetzung ersparen kann.

     

    Am Ende haben die Syrer und die Großmütter alle einen Eigennamen. Vielleicht erweist sich gerade daran das Scheitern der Humanität, dass unser praktisch-politisches Ethos nicht (wie noch bei Levinas, Bauman, Adorno) mehr darauf reflektiert. In der Masse und in den Strömen können wir uns alles erlauben, auch Idomeni. Ohne Aufschrei, denn für die gesichtslose Masse gilt gerade keine Ausnahme und kein Ausnahmslos.