Kolumne „Deutschland, was geht?“: Kirschkuchen reicht nicht

„Gehören Sie zur al-Qaida?“: Wer oder was deutsch ist, ist immer noch sehr eng definiert – und wehe, man entspricht dem nicht.

Eine Bäckerin schaut auf einen Stollen

Dresdner Christstollen zum Beispiel: unstrittig deutsch. Aber wie wäre es mit Baklava? Foto: ap

Wer in Deutschland nicht weiß, blond und blauäugig ist und Anna oder Max heisst, kann sich eine Menge darüber anhören, warum viele Menschen meinen, dass er oder sie alles sei, außer deutsch. Dabei scheint es völlig nebensächlich zu sein, ob man hier geboren worden ist, oder nicht. Ob die eigene Familie womöglich schon in der vierten Generation hier lebt und ob es am Sonntagnachmittag Kirschkuchen statt Baklava und Milchspeisen mit Rosenwasser gibt.

Als ich für eine kleine Recherche in einem sozialen Netzwerk die Frage in den Raum stelle, was meine Freunde sich schon alles aus der Kategorie absurder Sprüche aufgrund ihrer von anderen Menschen vermuteten Herkunft anhören durften, erhalte ich eine riesige Resonanz. Offensichtlich besteht ein großer Redebedarf über genau solche Themen, völlig ungeachtet des Alters, des akademischen Grads, oder des beruflichen Erfolgs. Ressentiments treffen sie alle.

Anders, als ich erwartet hätte, artet meine kleine Umfrage sehr schnell in eine Art Battle um den lustigsten Kommentar aus:

„Feierst du auch Weihnachten?“ – „Nein Rainer, immer noch nicht. Das fragst du mich jetzt seit zwanzig Jahren.“

„Was passiert eigentlich, wenn ich deine Haare sehe?“ – „Dann müssen wir am nächsten Tag heiraten.“

„Entschuldigung, nur aus Interesse: Gehören Sie zur al-Qaida?“

„Wo haben Sie so gut Deutsch gelernt?“ – „Oh, im Kindergarten.“

„Wann gehen sie zurück nach hause?“ – „Für gewöhnlich nach dem Feierabend.“

Ich muss zugeben, dass ich beim ersten Lesen sehr viel Spaß hatte und froh war, zuhause zu sein, weil mir vor lauter Lachen die Tränen gekommen sind.

Feste Regeln

Wenn ich jetzt darüber nachdenke, frage ich mich allerdings schon, warum so viele meiner Freunde identische Erfahrungen in ihrem Alltag machen, egal, ob sie einen südamerikanischen, osteuropäischen, arabischen, oder türkischen Hintergrund haben. Aber damit nicht genug: selbst diejenigen, die genuin deutsch sind, und zum Islam konvertierten, konnten über viele solcher Vorfälle berichten. Für das Deutschsein gelten offensichtlich noch immer feste Regeln: eine Mischung aus Aussehen, religiöser Zugehörigkeit und Herkunft.

Später treffe ich eine junge Frau, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Werbewelt vielfältiger zu machen. In Deutschland werde ein Großteil der Bevölkerung übergangen. Ich bin skeptisch, hat doch gerade die Werbewelt ganz andere Probleme: Frauen werden regelmäßig zum Objekt gemacht und auf die Funktion eines sexualisierten Wesens degradiert. Werbung verkürzt und stellt etwas dar, das nicht der Realität entspricht. Sie allerdings ist überzeugt: Werbung kann von gesellschaftlichem Wert sein.

Ich denke an ein Cover des Magazins Eltern, das zu seinem Jubiläum eine Frau mit Kopftuch abgebildet hat und sie das sein ließ, was sie war: eine Mutter. Die junge Frau erzählt weiter: „Im Moment müssen wir die Menschen abbilden, die schon längst zu Deutschland gehören, aber nie gesehen werden. Bis auch das irgendwann überflüssig wird.“

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