Kolumne Der Zuckerberg | Teil 10: Wie ein warmes Bad
Am Jahresende ist kurz Zeit, den ganzen Hass, die Angst und die sozialen Ungerechtigkeiten zu vergessen. Denn es gibt Videos mit Pinguinen!
F acebook. Ein alter Hut mit vielen bunten Federn. Angesichts der versammelten Pracht von Schreiadler, Vollmeise, Schluckspecht, Trollvogel sowie praktisch sämtlichen Kauzarten soll diese Serie für den nötigen Durchblick sorgen.
Das Jahr neigt sich gen Ende. Versöhnung läutet allerorten ihr Glöckchen und weckt auch in mir den Wunsch, den ermüdenden Kreislauf des Hasses aufzubrechen. Gönnen wir uns an dieser Stelle ein wenig Erholung vom Kampf, und auch von der Wahrheit. Einen Safe Space, eine kurze Atempause harmloser Zerstreuung. Darin liegt ohnehin der Zweck von Facebook.
Ich denke da nur an den Clip mit dem kleinen Pinguin, der von einem alten Mann in Brasilien aufgepäppelt wurde, der ihn verölt und halbverhungert am Strand gefunden hatte. Die Bilder streicheln meine Seele wie ein warmes Wannenbad, in dem ich einen Burger mit Bacon und Jalapeños esse, dazu läuft im Radio die Bundesliga-Livekonferenz oder psychedelische Nazi-Mucke von Pink Floyd. Der Pinguin kommt nun jedes Jahr 5000 Kilometer von seinem Brutplatz weiter im Süden zurück zu seinem Retter geschwommen. O Gott, das muss man sich nur mal vorstellen!
Und dann zeigen sie die beiden, wie sie stundenlang Nase an Schnabel reiben, wie sie nebeneinander her am Strand spazierengehen, der Mann mit langen, bedächtigen Schritten und der Pinguin mit kleinen Hopsern, und dann zusammen im Meer schwimmen, Wahnsinn. Ich werde fast ohnmächtig vor Rührung.
Solche Momente sind es, für die es sich zu leben lohnt, für die sich der ganze Irrsinn auszahlt: die Angst, die Demütigungen, Zahnschmerzen, Knochenbrüche, Todesfälle, Liebeskummer und vor allem diese Milliarden sinnloser Polit-Posts über langweilige Ungerechtigkeiten, durch die man sich wie durch einen gewaltigen Berg Scheiße hindurchwühlt, bis zum kathartischen Pinguin-Video, per aspera ad astra.
Es soll tatsächlich gefühllose Psychopathen geben, die Pinguin-Clips für überflüssig halten. Dabei sind die das Wichtigste der Welt. Obwohl der Kapitalismus uns Geringverdiener und Arbeitslose wie lästige Läuse zerquetscht, lächeln wir unter einer sedierenden Glocke aus geretteten Pinguinen, am Kopf gekraulten Eulchen, die verzückt mit den Augen rollen, und lustig rückwärts vom Sofa fallenden Hundewelpen nur selig vor uns hin.
Alles ist so unheimlich schön. Unsere Ohnmacht ist uns pupsegal. Da man ohnehin stirbt, ist das doch mit Opium viel angenehmer.
Sollen die Reichen Geld und Macht untereinander aufteilen, für uns bleibt das Glück. Denn alles, was zählt, ist die Freundschaft zwischen Mensch und Pinguin. Dass es sie gibt, ist so ein Trost.
Gewiss, der alte Mann ist arm, hat weder lebende Verwandte noch Krankenversicherung und wird garantiert bald sterben. Doch er hat den Pinguin, der jedes Jahr zu ihm zurückkommt, diese treue Seele. Und wenn alle Stricke reißen, kann er ihn immer noch ganz easy schlachten, da er ihn über die Jahre hinweg vollkommen arglos gemacht hat. Deshalb kommt hier noch ein schönes Neujahrsrezept für Pinguinkeule an Portweinjus … ach schade, der Platz reicht nicht mehr …
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