Kolumne Das Schlagloch: World Spins Madly On

Die Folgen der Bankenkrise sind völlig unklar. Das erzeugt ein Gefühl der Unwirklichkeit.

"How are you … and Germany", lautete die Betreffzeile der Mail von Gordon aus Newcastle. Gordon ist Ende 30 und technischer Angestellter. Mindestens zwei Jahre hatte ich nichts von ihm gehört. Nun schreibt er lediglich: "Schmilzt euer Bankensystem auch so dahin wie unseres? Vermutlich wird es hier noch vor Weihnachten 1 Million Arbeitslose mehr geben und bis zum Frühjahr sollen noch mal 2 Millionen drauf kommen. Ich hoffe, es geht dir gut, G."

Mein 64-jähriger Cousin, der Direktor einer kleinen Schule in der New Yorker Bronx war und nun noch in der Lehrerfortbildung arbeitet, schrieb in der gleichen Woche: "Die derzeitige ökonomische Krise könnte ja ganz unterhaltsam sein, wenn sie nur die gierigen Reichen beträfe. Leider trifft sie aber die Ärmsten am härtesten und die Folge ist, dass Arbeit, Bildung, Krankenversicherung und Rente für sie nun absolut unerreichbar sind. Wir haben viel von unserer Pension und den Renten-Investments verloren, aber bis jetzt geht es noch. Vor einem Jahr wäre es für uns völlig überflüssig gewesen weiterzuarbeiten, weil wir beide ein gutes Altersruhegeld bezogen. Heute sind wir froh, dass wir noch Jobs haben. Ich will nicht, dass mich diese Situation depressiv macht, aber es ist ein beängstigend schwarzes Loch, in das wir da starren."

Und dann kam auch noch ein Gruß von Jameer, einem 30-jährigen Inder aus einem kleinen Dorf in Kerala. Seit vier Jahren führen wir einen Mailwechsel darüber, wie es uns geht, aber vor allem über seine vergebliche Suche nach Arbeit. Entweder gibt es keine, weil es zu viel regnet, oder es gibt keine, weil es zu heiß ist. Wenn es eine gibt, wird die Oma krank und er zieht zusammen mit der Mutter zwei Monate in die Kreisstadt, wo die Oma im Krankenhaus liegt und versorgt werden muss. Aber eigentlich muss Jameer dringend Arbeit finden, weil die dritte Schwester immer noch nicht verheiratet ist und viel Geld dafür braucht, einen angemessenen Ehemann zu finden. "Hai, mir gehts gut, ich hab in den Zeitungen von der großen Bankkrise in Europa gehört. Mir macht eine Bankkrise keine Probleme, weil ich noch kein Bankkonto besitze, also no problem at all! Machs gut."

Anschaulicher hätte mir wirklich niemand die internationale Finanzkrise beschreiben können. Dennoch bleibt dieses merkwürdige Gefühl von Unwirklichkeit. Es erinnert an den GAU von Tschernobyl vor 20 Jahren. Nichts war zu sehen, zu riechen oder zu hören. Es waren nur diese panikartigen Meldungen. Und die beängstigenden Aussagen der Regierung, denen lediglich zu entnehmen war, dass keiner irgendeine Ahnung hatte.

Daran hat man sich ja inzwischen gewöhnt. Man glaubt gar nicht mehr, dass irgendeiner weiß, was los ist und wie man es richten kann. Aber dieses Unsichtbare macht schon allein die Einsicht wirklich schwierig, dass es sich um eine Katstrophe handeln könnte. Da können die Journalisten und Experten noch so warnend mit den Augen rollen und die Köpfe schütteln - oder wie eine Journalistin neulich im Fernsehen sagte: "Es ist wirklich etwas Schlimmes passiert in der Welt", als ob sie ahnte, dass die Nachricht eigentlich noch nicht angekommen ist.

Zumindest in meinem Portemonnaie ist die Finanzkrise noch nicht angekommen. Und wenn man den Börsenmeldungen lauscht, mit denen man seit Jahren stündlich aus allen Radiosendern behämmert wird, klingt alles wie immer. Rauf und runter und umgekehrt. Ja ja, das dicke Ende kommt noch. Aber wie sieht das dicke Ende aus und was soll das für ein Lebensgefühl bis zum dicken Ende sein? Eine Warnung vor etwas, das man sich gar nicht vorstellen kann, ist wie die verbotene Tür in einem Märchen. Da denkt man doch sofort: da will ich aber unbedingt rein, das muss ich sehen!

Wenn zum Beispiel gesagt würde, übernächsten Monat ist Tsunami in Berlin, da könnten wir mit allem, was uns lieb, nicht unbedingt teuer, aber zumindest heilig ist, nach Bayern ziehen. Dort ist ja jetzt auch schon die Landesbank sicher. Und wenn der Tsunami Berlin verwüstet hat und wieder abgezogen ist, gehen wir zurück und bauen alle zusammen alles wieder auf. Aber wenn einer sagt: in fünf Jahren kannst du mit deinem Geld eher den Flur tapezieren als etwas einkaufen, weil es nichts mehr wert ist, dann weiß man doch gar nicht, was man mit dieser Information anfangen soll. Können dann alle nicht mehr einkaufen?

Das Weggehen würde jedenfalls mit der Aussicht aufs Wiederkommen keinen Sinn machen. Und wohin auch? Indien? China? Russland? Und was ist eigentlich mit den islamischen Ländern? Haben die auch eine Finanzkrise? Obwohl sie doch gar kein Geld mit Geld machen dürfen, wie es der Koran untersagt. In diesen Ländern scheint es den Reichen noch gut zu gehen, und (noch) würden auch wir dort nicht zu den Armen gehören.

Die Entscheidung mancher deutschen Rentner mit nicht allzu großem Budget, nach Asien zu ziehen, um dort weiterzuleben, sieht bis jetzt richtig aus. Die Grundschullehrerin in Goa, der Kleinverleger in Chiang Mai. Aber sie kriegen ja ihre Renten in Euro. Wird der Kurs dann besser, wenn man sein Geld umtauscht? Plötzlich versucht man etwas zu verstehen, wofür man sich jahrzehntelang nicht interessierte.

Und es gibt schließlich gute Gründe dafür, dass einem der Finanzmarkt schnuppe ist. Weder will man selber Börsenkurse studieren noch mit Leuten zu tun haben, die damit ihre Zeit vertun. So banal es klingen mag, aber: die Freunde mit Geld sind ständig neidisch auf meine Zeit. Offenbar nicht neidisch genug, um weniger zu arbeiten, aber sie erwähnen es ständig. Ich kann mich hingegen nicht erinnern, schon mal gesagt zu haben: Ach, hätte ich nur so viel Geld wie du … Denn ich wüsste ja, wie es ginge, das Mehr-Geld-Verdienen. Aber meistens ist es eben mit Zeitverlust verbunden. Zeit, die man zum Beispiel viel besser mit der Bildung seines Herzens statt mit Börsenberichten oder Sorgenmachen verbringen kann. Das ist auf jeden Fall auch gut gegen die Bildungskrise. Ich würde übrigens mal vermuten, dass diese Art von Bildungskrise unter Bankern ganz besonders heftig wütet.

Diejenigen, die ich getroffen habe, wussten so gut wie nichts von der Welt. Weder der des Geistes noch der des Lebens. Sie wussten nicht, wie man mit normalen Menschen, mit Pflanzen oder Tieren spricht, wie man sich wohl fühlt, wenn man nicht arbeitet, und warum Status und Sicherheit keine Werte sind, die auf Dauer erfüllen oder glücklich machen. Sie waren die kalten Herren der Gier und werden nun zu folgsamen Dienern einer Angstkultur, die stetig aufgebaut wird. Angst vor Armut, vor Terrorismus und null Wirtschaftswachstum - und vor allem Angst vor fremden Ufern, Unsicherheiten und Veränderungen.

Das geisteskranke Gezocke des Börsengesindels ist nur eines der Hauptsymptome der Panik, die unter all dem tatsächlich liegt: was ist, wenn es still und leer ist und keiner mich liebt? Verfalle ich dann zu Staub wie die Klone in Matrix und die grauen Herren bei Momo?

Für echt Angstfreie hat MäcGeiz nächste Woche ein tolles Angebot: Klopapier mit Zimtduft und Elchmotiven.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.