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Kolumne Das SchlaglochEndlich Urlaub

Kolumne
von Georg Seesslen

Auf in die vertraute Fremde - es ist alles drin und doch nichts möglich.

U nsereiner – also jene Personen, denen ein Bergwald gar nicht einsam und ein umstrittener Caravaggio gar nicht verborgen genug in einem Provinzstädtchen sein, kurzum: das Natur- und Kulturarschloch übelster Sorte, unsereiner also hat zum Massentourismus ein gespaltenes Verhältnis.

Bei den Handtuchbesitzern in ihren Paradiesmaschinen und Urlaubsghettos ereignet sich Fremdheit auf zugleich fundamentalkapitalistische und kriegerische Weise, so argwöhnen wir. Es geht darum, zu bekommen, was versprochen war, und es geht darum, keine Möglichkeit zum Geldverdienen außer Acht zu lassen.

Weil hier alles billig ist, mehr oder weniger, bekommt man rein gar nichts geschenkt. Und weil alles im Prospekt stand, will man auch keine Überraschungen. Entsprechend paart sich hier das Prostitutive mit dem Feindseligen.

Man reagiert mit Misstrauen aufeinander, denn man kennt sich ja nur zu gut. Je besser man sich kennt, desto mehr verhalten sich die Menschen nach ihren Klischees; so trifft die Karikatur eines Reisenden auf die Karikatur eines Gastgebers.

Kein bisschen Frieden

Massentourismus ernährt zwar eine Menge Leute und tut umgekehrt auch etwas für den sozialen Frieden in den Herkunftsstätten der Touristen, Massentourismus aber verhindert weder Kriege noch Bürgerkriege: Fanden nicht Massaker statt, ganz in der Nähe von unserem Lieblingscampingplatz in Jugoslawien? Massentourismus macht aus unterentwickelten Ländern keine entwickelten Länder; Massentourismus verhindert keine Diktaturen und keine Terrorherrschaft (trägt aber durchaus zu deren Finanzierung bei), und schließlich: Massentourismus führt zu allem Möglichen, ganz gewiss aber nicht zu Verständnis und Kenntnis eines anderen Landes.

Georg Seesslen

ist Publizist und Filmkritiker und lebt in Kaufbeuren. Er hat über 20 Bücher geschrieben, meist über Western, Horror, Science Fiction und über Starregisseure (Hitchcock, Kubrick, Spielberg, Lynch, Scorsese, Tarantino).

Wir dagegen, nicht wahr, wir Individualtouristen und Kleinentdecker. Wir beginnen sofort am Marktplatz, kaum hat man uns ein wenig Obst und Wein geschenkt, eine politische Grundsatzdiskussion. Wir reisen nicht ungern in Regionen, wo es ziemlichen abenteuerlich ist, mein lieber Schwan. Wir lassen keinen Müll zurück, sondern schließen Freundschaften vor Ort und tragen ein Anti-Berlusconi-T-Shirt in Apulien. Wir unterstützen keine Fast-Food-Ketten sondern den Wirt, der noch ganz nach den alten Rezepten der Region kocht. Und was immer uns begegnet - Neugier und Aufgeschlossenheit quillt aus allen Löchern des Allwetter-Anoraks. Genau besehen also: Wir sind genau so zum Kotzen wie die Massentouristen.

Der Mitteltourist weiß alles

Dann aber, um das Maß der modernen Reise-Barbarei voll zu machen, gibt es noch allerlei Mischformen. Leute, die das Ghetto des Massentourismus schon mal verlassen, und sich etwas darauf einbilden, "nicht sofort als Touristen erkannt" zu werden. Diese Ghetto-Verlasser und kontrollierten Individualtouristen unterscheiden sich militant von den reinen Ballermann-Massentouristen. Wo bei diesen pure Ignoranz vorherrscht (ein Riesen-Sangria-Eimer ist Lokalkolorit genug), da bei jenen das Wissen.

Der Mitteltourist ist unfähig zum Nichtwissen. Er und sie wissen alles, in der Regel besser als die Einheimischen; man hat sich schließlich vorbereitet. So wie sich der Massentourist auf das beschränkt, was im Reiseprospekt versprochen war, so beschränkt sich der Mitteltourist auf den Kanon des Wissens. Er ist gleichsam ein auf den Kopf gestellter Bildungsreisender; er will der chaotischen Welt einen Teil ihrer offensichtlich verlorenen Bildung zurückbringen. Überall schüttelt er den Kopf über Bausünden und Verschandelungen und liebt es, Einheimischen ihr Land zu erklären. Auf Irritationen reagiert er feindselig. Wo der Massentourist etwas für sein Geld haben will und wo der Individualtourist etwas für seinen weltoffenen Abenteuermut haben will, da will der Mitteltourist etwas für sein Wissen haben.

Vielleicht gibt es andere Formen des Reisens, kaum aber andere Formen des Tourismus. Sie mögen zwar national verschieden ausgeprägt sein, sie mögen gewissen Moden unterworfen sein. Blättert man die viel versprechenden Broschüren der Reiseveranstalter durch, erscheint es auffällig, dass Elemente des Mitteltourismus, ja sogar des Luxustourismus, sagen wir Flugreisen, Kreuzfahrten, Expeditionen zunehmend auch in den Diskurs des Massentourismus fallen. Nicht nur Reiseländer, sondern auch Reiseformen werden auf diese Weise "abgewertet", während sich umgekehrt allerorten ein einigermaßen snobistischer "Alternativtourismus" herausbildet. Der ist reserviert für die ein wenig besser verdienenden Menschen mit ökologischem Gewissen.

Die neuen Urlaubsgeschichten

Die Semiotik des Tourismus wird also zugleich einfacher und komplexer; die Klassen, Schichten, Kulturen und Generationen machen nicht mehr gemeinsam Urlaub, dafür bilden sich gewisse Urlaubsgemeinschaften und vor allem bilden sich neue Urlaubserzählungen: Fünf Frauen flachgelegt und jeden Abend besoffen; ein entzückendes kleines Gasthaus mit eigener Metzgerei; und auf dem Ökobauernhof durften die Kinder die Resi melken.

Die Postkarte war der letzte touristische Entitätsnachweis. Mit ihrem Verschwinden fiktionalisiert und fragmentarisiert sich die Urlaubserzählung, die zudem längst nicht mehr so spannend ist. Und "mitbringen" kann man auch kaum noch etwas, was es nicht auch im 1-Euro-Shop in der Fußgängerzone gäbe. Ein Strandparadies unterscheidet sich von einem Südsee-Erlebnisbad mit Wellenmaschine vor allem durch seine Nachteile: Manche Leute reden da so komisch, im Sand sind schwarze Brocken von der letzten Tankerkatastrophe, und nirgendwo ein gescheiter Parkplatz.

Vielleicht haben die öden Orte, das ganz und gar Unspektakuläre, das Hässliche hier eine Chance. Am Interessantesten wäre es allemal. Wie wäre es also mit "Urlaub auf der Autobahnraststätte", Kreuzfahrt mit Sperrmülltransporter, ihre Idylle im Industriegebiet Süd? Hier endlich wäre man angelangt, wo man mit allen Fern-, Pauschal-, Luxus- und Gruppenreisen ums Verrecken nicht mehr hinkommt: In der Fremde.

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