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Kolumne Das SchlaglochGuantánamo, ein Erklärungsversuch

Wie erklärt man Guantánamo einem, der 10 Jahre weg war? Über Folter, Schuld und fehlenden Protest redet man am besten bei einem Teller Bratkartoffeln.

„Ich verstehe das alles nicht“, platzte es aus ihm heraus, nachdem er drei Portionen Kartoffeln verdrückt hatte. Bild: dpa

I n einem anderen Leben habe ich mit Hilmar von Hartenooge an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Ethnologie studiert. Wir diskutierten nächtelang über Fruchtbarkeitskulte, Propheten und Geisterseher; wir verstanden uns auch ansonsten gut. Insofern war ich zwar überrascht, aber durchaus erfreut, als er vor einigen Tagen vor meiner Wohnungstür stand, mager, mit einem abwesenden Blick in den Augen und einem Rucksack in der linken Hand. Er setzte sich auf den Fußboden und bat um ein Glas Milch.

Ich: Wann bist du zurückgekehrt?, fragte ich.

Er: Letzten Monat.

Wie lange warst du weg?

Zehn Jahre.

Eine lange Zeit, murmelte ich.

Verlegenheit bringt die größten Weisheiten hervor. Zwischen langen Sätzen des Schweigens erzählte er bruchstückhaft von Initiationsriten im Ituri-Regenwald, von der letzten Elefantenjagd, von den Heilkräutern, die ihm das Leben gerettet hätten. Er schien abgelenkt, so als gelte seine Aufmerksamkeit etwas anderem. Er würde schon damit herausrücken, dachte ich mir, während ich die Kartoffeln zum Kochen aufsetzte. Nach zehn Jahren im zentralafrikanischen Dschungel hat man bestimmt Lust auf Bratkartoffeln.

Ich verstehe das alles nicht, platzte es aus ihm heraus, nachdem er drei Portionen verdrückt hatte.

Was verstehst du nicht, Hilmar?

Was in meiner Abwesenheit so alles passiert ist.

Was meinst du?

Dieses Guantánamo zum Beispiel.

Bild: Gerhard Dilger
Ilija Trojanow

ist Schriftsteller und Weltensammler. Veröffentlichungen: „Stadt der Bücher“ (mit Anja Bohnhof), München 2012, und „Die Versuchungen der Fremde: Unterwegs in Arabien, Indien und Afrika“, München 2011.

O weh, dachte ich mir. Ich empfand wenig Lust, die aktuellen Absurditäten eines demokratischen, rechtsstaatlichen Systems einem bärtigen Ethnologen, der gerade von einer langen Feldforschung zurückgekehrt war, zu erklären. Lieber hätte ich mehr über den Gesang der Waldbewohner erfahren.

Was verwirrt dich denn, Hilmar?

Die Häftlinge, wieso hat man sie in der Zwischenzeit nicht verurteilt?

Weil sie nichts getan haben. Die meisten von ihnen waren nie für al-Qaida tätig.

Wie sind die da reingekommen?

Mehr als drei Viertel der Häftlinge sind Kopfgeldjägern in die Fänge geraten, nur fünf Prozent wurden von der US-Armee festgenommen.

Das waren doch bestimmt alles fanatische Krieger?

Eigentlich nicht, eher ein bunter Haufen: Fahrer, Köche und Kinder.

Kinder?

Ja, alles in allem 21 Kinder.

Um so mehr Grund, sie freizulassen?

Geht nicht, sie sind nicht unschuldig gesprochen worden.

Und weshalb hat man sie nicht in normale Gefängnisse überführt?

Weil normale Gefängnisse nur für Leute sind, die das Gesetz gebrochen haben, und die meisten Häftlinge in Guantánamo haben sich, wie gesagt, nichts zuschulden kommen lassen.

Aber einige von ihnen sind doch bestimmt vor Gericht gestellt worden?

Vor Militärtribunale, ja, es gab sogar sieben Verurteilungen.

Und was ist mit denen geschehen?

Die durften alle Guantánamo verlassen: Vier werden in ihren jeweiligen Heimatländern festgehalten, drei weitere sind inzwischen freigelassen worden.

Also ist es besser, schuldig zu sein?

Das ist etwas schematisch gedacht.

Wieso werden die anderen nicht in ihre Heimatländer zurückgeschickt?

Weil sie gefährlich sind.

Ich dachte, sie haben nichts getan?

Sie könnten aber etwas tun. Weil sie seit zehn Jahren festgehalten werden, ohne etwas getan zu haben, sind sie jetzt vielleicht der Überzeugung, sie sollten zukünftig etwas tun.

Das ist ja verflixt.

Nein, eigentlich nicht, es setzt nur eine gewisse mentale Flexibilität voraus.

Und jetzt befinden sie sich im Hungerstreik?

Mehr als hundert von ihnen, seit Februar.

Wieso gerade jetzt?

Obama hat sie in seiner Regierungsansprache nicht einmal erwähnt. Sie hatten gehofft, er hält sein Versprechen und schließt Guantánamo.

Kann er das nicht?

Die Hände sind ihm gebunden. Der Präsident der USA hat keine so weitreichenden Befugnisse. Er darf Kriege anzetteln und Verdächtige in fernen Ländern ermorden lassen, aber er darf Unschuldige nicht freilassen.

Wie kann es sein, dass die Hungerstreikenden immer noch am Leben sind, obwohl sie seit Monaten Essen verweigern?

Sie werden zwangsernährt, über einen Schlauch, der in die Speiseröhre gesteckt wird. Ist nicht so angenehm wie es klingt.

Wieso zwingt man sie?

Na, wenn sie sterben würden, könnten sie nicht länger auf Guantánamo festgehalten werden.

Wahnsinn, wenn das die Zuständigen wüssten.

Das pfeifen die Adler von allen Überwachungstürmen. Mehr als 200 FBI-Agenten haben Fälle von Folter gemeldet und sieben Militärstaatsanwälte haben um Versetzung gebeten oder sind zurückgetreten, weil sie das Verfahren als rechtswidrig bezeichnet haben.

Da hat es aber bestimmt deftige Demos gegeben, oder?

Eigentlich nicht. Wir waren außerdem in letzter Zeit abgelenkt von dem Pussy-Riot-Prozess in Moskau.

Was war das?

Eine andere Schweinerei. Aber wenigstens haben die russischen Richter die großartige Tradition des Femegerichts bewahrt.

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4 Kommentare

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  • SG
    Schmidt Georg

    ist doch klar, dass keiner die armen Hunde haben will, man siehts bei uns ,nur mit einem ! nachdem man Menschen 10 Jahre wie Tiere gehalten und behandelt hat, seelisch-moralisch gebrochen-wohin mit ihnen ? einfach tschüss sagen und machts gut?

    yes, we can ! eben nicht Ihr lieben Verbündeten, vielleicht wärs nur mal gut, den Spruch an Eurer Freiheitsstatue zu ändern-aber alle anderen sind auch nicht besser!

  • R
    reblek

    "Vier werden in ihren jeweiligen Heimatländern festgehalten..." - Kann nicht sein, weil sie alle lediglich ein Heimatland haben und deshalb in das jeweilige abgeschoben werden.

    "Wieso werden die anderen nicht in ihre Heimatländer zurückgeschickt?" - dito

    Aber doch nicht so schlecht erklärt, wie Andypapa007 behauptet.

  • E
    Eremit

    Viel Bohei, ja, ach, die Menschlichkeit...!

    Die Rechtsstaatlichkeit..!

    Die Zivilgesllschaft...!

     

    War halt alles nur Fassade und bestand nur, weil die Leitmedien es so verkauften. Kommt alles aus der Zeit, wo man angesichts des sozialistischen Gegners gut aussehen mußte.

     

    Ist heute überflüssiges Gedöhns. Solange in Dresden Pfarrer vor Gericht stehen, die nur das demonstrieren, was eigentlich selbstverständlich sein sollten und angesichts eines Mollaths dem Bundespräsidenten nicht mehr einfällt als 'er äußere sich nicht zu laufenden Verfahren', tja, dann ist es mit Freiheit und Würde des Menschen nicht so weit her. Und ohne die gibt's auch keine Rechtsstaatlichkeit.

     

    Und solange der Hart IV - Empfänger zum erwerbsunwürdigen Leben gezählt wird, bleibt der Weg von der Marktkonformen Demokratie bis zum Faschismus kurz.

  • A
    Andypapa007

    Ja, richtig! So erklärt man das einem Buschmann aber bei der TAZ hätt ich solch ein Geschwätz nicht erwartet.

    Als Leseübung und Denkanstoss für meine 11jährige Tochter war der Text aber hilfreich!