Kolumne Darum: Auf der Achterbahn

Während der Fahrt auf der „Colorado Adventure“ im Phantasialand werden Kinder zu „scream machines“. Ich darf nicht schreien. Das ist ungerecht.

Kreeeeiiiiisch! Achterbahn „Silverstar“ des Europa-Parks in Rust. Bild: dpa

Achterbahnen und Kindererziehung haben viel gemeinsam. Es geht drunter und drüber. Alles passiert viel zu schnell. Teile der Reise sind unübersichtlich oder finden gleich ganz im Dunkeln statt. Wenn es einmal losgegangen ist, kann man unterwegs nicht aussteigen. Und manchmal wird einem schlecht, man darf es aber nicht zeigen.

Solche Gedanken kommen einem während der gut zweiminütigen Fahrt auf der Colorado Adventure im Phantasialand Brühl. Und so schnell sie kommen, so schnell sind sie auch wieder weg. Was nach so einer Achterbahnfahrt mit der Tochter bleibt, ist die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann.

Wie leichtfertig man beim Essen mit Frau und Kindern darüber plauscht, dies schon gemacht zu haben und das gerne mal ausprobieren zu wollen und jenes damals leider verpasst zu haben. Einen Fallschirmsprung aus 4.000 Metern Höhe hat mir solch hirnloses Gelaber schon eingebracht und nun eben diverse Höllenfahrten in einem Freizeitpark.

Denn zu erzählen, dass man als Kind auch so gerne Achterbahn gefahren sei und dann tatsächlich – 30 Jahre nach der letzten Fahrt – wieder in einer zu sitzen, sind zwei grundverschiedene Sachen. Die Achterbahnen von 1983 sind nicht identisch mit denen von 2013. Wo gestern Mut war, sind heute Zweifel. Unbedarftheit ist gereizten Nerven gewichen. Und ein Magen wird ja auch nicht jünger.

So eine Achterbahnfahrt geht langsam los. Man wird irgendwo sehr steil hochgezogen und weiß: Wo es hoch geht, geht es auch wieder – uiiiii. Alle fangen an zu schreien, meine Tochter auch, und gleichzeitig sehe ich in ihren Augenwinkeln die Erwartung, dass ich nicht schreien soll.

Unproduktiv und sinnlos

In welcher Sicherheit habe ich bloß beim Essen vom Achterbahnfahren gesprochen, dass nun von mir erwartet wird, das Grauen minen- und geräuschlos ertragen zu müssen? In den USA werden die Dinger auch „scream machines“ genannt.

Warum, verdammt, darf meine Tochter sich bei gefühltem Tempo 200 im Auf und Ab und Kreuz und Quer wie ein Kind verhalten – und ich nicht? Der Freiburger Soziologe Sacha Szabo, der über Attraktionen auf Jahrmärkten und in Vergnügungsparks promoviert hat, zählt die Achterbahnfahrt zu den Rausschspielen. Ihr „kennzeichnendes Element" sei „ihre völlige Unproduktivität und scheinbare Sinnlosigkeit“.

Unproduktivität und Sinnlosigkeit reklamieren Kinder gerne für sich, teils zu Recht, teils nicht. Von uns Eltern erwarten sie, dass wir ihnen dabei nicht in die Quere kommen. Dass auch wir „Rauschspiele“ mögen, umso mehr, wenn wir uns dabei komplett gehen lassen können, ist ihnen suspekt. Daher der warnende Kontrollblick der Elfjährigen in meine Richtung, während sie sich in rasender Abwärtsfahrt in eine lebende „scream machine“ verwandelt.

Also gibt es zwei Sachen, die sich ändern müssen. Nicht mehr leichtfertig vor den Kindern von Dingen sprechen, über deren Auswirkungen man sich selbst nicht im Klaren ist („Als ich Kind war, habe ich auch gerne haarige Plastikvogelspinnen unter Kopfkissen versteckt“). Und wenn doch, dann so, dass die Kinder gleich begreifen, dass Kontrollverlust ihnen nicht allein vorbehalten ist. Beides zugleich zu vermitteln ist kompliziert – ich könnte schreien. Achterbahnfahren ist leichter.

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Jahrgang 1969, Leitender Redakteur des Amnesty Journals. War zwischen 2010 und 2020 Chef vom Dienst bei taz.de. Kartoffeldruck, Print und Online seit 1997.

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